«Peur(s) du noir» von Prima Linea Productions

«Peur(s) du noir» von Richard McGuire

Die Ausstellung von Fantoche 07 war dem damals noch in Produktion befindlichen Langfilmprojekt «Peur(s) du noir» («Fear(s) of the Dark») gewidmet. Die Angst vor der Dunkelheit ist der thematische Ausgangspunkt für «Peur(s) du noir». Sechs international bekannte Comic-Zeichner und Grafiker (Marie Caillou, Richard McGuire, Blutch, Lorenzo Mattotti, Charles Burns, Pierre di Sciullo) visualisierten für das Projekt ihre Angstträume – beinahe gänzlich in Schwarzweiss. Auf der Handlungsebene sind die Furcht vor den Träumen und fürchterliche Träume ein verbindendes Element.

Die Beiträge der einzelnen Künstler sind unterschiedlich in den Film eingeflochten. Zusammengehalten werden die Angstvisionen durch Einschübe von Blutch und Pierre di Sciullo. Da sind einerseits die kohlschwarzen, traditionell auf Papier animierten Zeichnungen von Blutch, der einen düsteren Mann mit vier Hunden auf Menschen loslässt. In jeder Episode reisst sich ein blutrünstiger Hund los und stürzt sich auf Kinder, Frauen und Männer. Eine Stimme ist nicht zu hören, dafür das fürchterliche Bellen, Knurren und Knirschen der Hunde.

«Peur(s) du noir» von Blutch

Andererseits abstrahiert Pierre di Sciullo in Flash animierten Vektorgrafiken die Alltagsängste einer Frau. So fürchtet sie sich davor, eine unverbesserliche Spiessbürgerin zu sein, keinerlei politisches Gewissen zu haben oder unerwartet bei Freunden von Freunden eingeladen zu sein und dort gegrillte Heuschrecken oder gebratene Schlange essen zu müssen. In appetitlichen Häppchen werden diese Episoden durch den Film hindurch serviert. Die Animationen zu diesen Ängsten sollen gemäss di Sciullo Ausformung der Gedanken darstellen. Mich haben sie vor allem überzeugt, weil sie eben so unfassbar wirken wie die damit verbundenen Furchtvorstellungen.

Die Beiträge von Charles Burns, Marie Caillou, Lorenzo Mattotti und Richard McGuire sind in sich abgeschlossene Erzählungen, die mit einer Ausnahme ohne Aufbrechung geschildert werden. Einzig die Horrorgeschichte von Marie Caillou über ein japanisches Mädchen, das durch seine Alpträume ein traumatisches Erlebnis verarbeiten muss, ist durch einen Einschub unterbrochen worden. Die mit Vektorgrafiken gestaltete Geschichte ist auf Schockeffekte und das markerschütternde Kreischen des Mädchens ausgelegt. Für meinen Geschmack ist diese Geschichte etwas zu wenig subtil, erzeugt aber durchaus eine verstörende Wirkung.

Die am konkretesten ausgestaltete, nach gängigem Erzählschema funktionierende Geschichte stammt von Charles Burns. Im Zentrum steht ein junger Mann, der in seiner Kindheit im Sammeln von fürchterlichen Insekten Zuflucht gesucht hat. Als Student lebt er zurückgezogen in einer Wohnung und fürchtet sich vor sozialen Kontakten. Da macht sich eine Studentin mit offensichtlichen Absichten an ihn heran. Die Figuren von Burns bewegen sich leicht steif, und seine 3D-Animationen kämpfen ein wenig mit der Räumlichkeit. Dafür spielt er gekonnt mit unheimlicher Stimmung und baut das Schaudern vor einer sonderbaren Andersartigkeit langsam auf.

«Peur(s) du noir» von Lorenzo Mattotti

Lorenzo Mattotti hat wie Blutch die ursprüngliche Zeichentricktechnik auf Papier gewählt. Besonders gelungen sind ihm die fliessenden Übergänge von einer Einstellung zur nächsten. So verwandeln sich Tränen in die Flammen von Kerzen und aus Wolken werden schauerliche Geschöpfe. Eine solche Kreatur steht im Zentrum der Handlung über eine Gegend in Italien, in der in den Sümpfen plötzlich Menschen verschwinden. Stimmungsvoll und leicht melancholisch entführt Mattoti auf diese Weise in Kindheitsängste.

Für den krönenden Abschluss sorgt Richard McGuire mit seinem Spukhaus. Auf die notwendigsten Formen reduziert entfaltet seine Geschichte die beklemmendste Wirkung. Ein Mann verirrt sich in einem Schneesturm in ein abgelegenes, scheinbar verlassenes Haus. Doch in der Dunkelheit verbirgt sich die schreckliche Vergangenheit. Mit zurückhaltenden Animationen evoziert McGuire eine unvergleichliche Tiefenwirkung und lenkt den Blick auf einzelne Bildausschnitte, um genügend Schwarzraum für schaurige Vorstellungen zu lassen. Die Tonspur sorgt zusätzlich für gespenstische Stimmung. Einen Ausschnitt gibt es hier zu sehen:

Die Vielseitigkeit der einzelnen Werke ist gleichzeitig Stärke und Schwäche von «Peur(s) du noir». Die Struktur ist mit teilweise seltsamen Übergängen ein wenig beliebig ausgefallen. Ansonsten sorgen aber die faszinierenden Beiträge auch für viel Abwechslung und halten wohl für jeden Geschmack die passende Dosis Angst bereit.

Fazit: «Peur(s) du noir» ist ein künstlerisch und inhaltlich erfüllendes Experiment, das auf vielen Ebenen seine Wirkung entfaltet.

Bewertung: 5 Sterne

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