«Mitten ins Land» von Norbert Wiedmer und Enrique Ros

Mis Läben isch fahre, und mängisch fahrts mer ii.

Von Olten aus kommt man in einer halben Stunde in zahlreiche Städte der Deutschschweiz. Und von Olten aus reisend sammelt Mundartkünstler Pedro Lenz seine Geschichten. Im poetischen Dokumentaressay «Mitten ins Land» beobachten ihn die Filmemacher Norbert Wiedmer und Enrique Ros bei einer Bestandesaufnahme der Schweizer Befindlichkeit.

2014 war «Der Goalie bin ig» mit vier Auszeichnungen der grosse Abräumer an der Verleihung des Schweizer Filmpreises. Herausragend ist insbesondere das Drehbuch, das wie die kongeniale Romanvorlage von Schriftsteller Pedro Lenz virtuos auf der Tastatur der Dialektsprache spielt. So verwundert es wenig, dass auch im Dokumentarfilm «Mitten ins Land» viel Wert auf die Sprache gelegt wird. Lenz eröffnet gleich mit einem stürmischen Wortschwall, mit dem er fast schon musikalisch auf die folgenden Reisen einstimmt, zu den Personen und ihren Geschichten, die für ihn – zumindest für diese Erkundungstour – die Schweiz ausmachen.

Entsprechend seiner eigenen politischen Ausrichtung stehen bei der Spurensuche von Lenz einfache Arbeiter und ein polarisierender linker Politiker im Zentrum. In einer Geschichte begleitet er eine ehemalige Coiffeuse, die nun als Lokomotivführerin durch das Mittelland rast. Dabei hat sie auch schon einen Personenunfall erlebt. Sie berichtet, wie sie weniger über den Vorfall bestürzt ist, als vielmehr über ihre eigene Reaktion darauf. Dann heftet sich Lenz an die Fersen von Volkan Inler, der sein Geld als Mitarbeiter der Reinigungsequipe des Werkhofs Olten verdient. Daneben spielt er auch Amateurfussball beim FC Trimbach – fast wie sein weitaus bekannterer, fünf Jahre jüngerer Bruder Gökhan.

Näher am eigenen Leben von Lenz sind die Zwillingsschwestern Yolanda und Dolores, die gemeinsam im Restaurant «Flügelrad» in Olten arbeiten, das Lenz und seine Schreiberkollegen Alex Capus und Werner de Schepper betreiben. Pointiert politisch wird Lenz in den Episoden mit dem Aargauer SP-Politiker Cédric Wermuth, den er bei seiner Wahl in den Nationalrat, zu Auftritten im Bundeshaus und zu einer Diskussion mit Wermuths grossen Antipoden Christoph Blocher begleitet. Dazwischen besucht Lenz die eigenartige Mondlandschaft in der Sondermülldeponie Kölliken, wo wegen Umweltsünden der Vergangenheit gerade die grösste Aufräumaktion der Schweiz durchgeführt wird.

Die einzelnen Geschichten verbindet Lenz mit Texten, in denen er sich frei alliterierend von Motiv zu Motiv assoziiert, vom Aromatstreuerland über minarettfreie Landschaften bis hin zu seinen Ansichten über Gewinner und natürlich Fussball. Bei einem Fussballturnier in Magglingen treffen dann folglich Lenz und seine Kollegen von FAdS unterstützt von Inler auf den FC Nationalrat mit Wermuth. So überschneiden sich zwischendurch diese Geschichten. Einzig die Besuche in Kölliken lassen sich nicht so direkt einordnen, obschon Lenz einmal versucht, vom Litterung her kommend eine Brücke zur Arbeit von Inler zu bauen. Diese Stückhaftigkeit schadet dem Film allerdings keineswegs. Vielmehr werden dadurch exemplarisch die zahlreichen Facetten wahrnehmbar, die Lenz in seinen Geschichten aufdeckt. Vor allem die Lokomotivführerin überrascht durch immer wieder neue Aspekte ihrer Persönlichkeit.

Norbert Wiedmer und Enrique Ros achten bei der Montage stets auf ein Gleichgewicht von Bild und Wort. Szenen und Text ergänzen sich, führen sorgfältig durch die von Lenz ausgewählte Gesellschaft. Wie es sich für das Porträt eines politischen Schriftstellers gehört, vermittelt das Werk zudem eine dezidierte Botschaft. Dabei transportiert Lenz eine Werthaltung, die in konzentrierter Form in einer 1.-August-Rede und einer 1.-Mai-Ansprache zu Wort kommt. Damit niemand in dieser Wortflut ertrinkt, bauen die Regisseure zwischendurch ausreichend stille Momente der Beobachtung ein, um wieder Luft zu holen oder wie Lenz es ausdrückt: «Luft hole und öppis us der Luft usehole.»

Fazit:  Mit zärtlichem Schalk und scharfer Zunge seziert Lenz die vorgefundenen und gesuchten Alltagsgeschichten. «Mitten ins Land» ist eine zärtliche, berührende Annäherung an den Schriftsteller, die Schweiz, die Schweiz des Schriftstellers.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: © 2015 Frenetic Films AG)

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