«Waltz With Bashir» von Ari Folman

«Waltz With Bashir» von Ari Folman

2007 entführte Marjane Satrapi in «Persepolis» in ihre Kindheit, «Chicago 10» vermischte animierte Szenen im Gerichtssaal mit Archivaufnahmen. 2008 wurde dann «Waltz With Bashir» als erster animierter Dokumentarfilm in Spielfilmlänge angepriesen. Doch die Anforderungen an einen Dokumentarfilm erfüllt auch der Kriegsfilm nur bedingt. Vielmehr muss er als eine verblüffende Kombination von Animationsfilm und Dokumentarfilm kategorisiert werden. Regisseur und Drehbuchautor Ari Folman verarbeitet darin seine lückenhafte Erinnerungen an den Libanonkrieg von 1982.

Nachdem die Städte im Norden Israels jahrelang vom Libanon aus bombardiert worden waren, marschierte die israelische Armee (IDF) im Juni 1982 im Süden Libanons ein. Innerhalb von einer Woche hatten die IDF die Aussenviertel von Beirut erreicht. Im August – während die IDF noch immer in den Aussenvierteln Beiruts auf den Befehl warteten, in die Stadt vorzudringen – wurde ein Friedensabkommen mit den Palästinensern unterzeichnet, demzufolge alle palästinensischen Kämpfer aus Beirut evakuiert und mit dem Schiff nach Tunesien gebracht werden würden. Im Gegenzug würden die IDF die Belagerung der Stadt beenden.

In der gleichen Woche wurde Bashir Gemayel – der Bashir aus dem Titel des Films, Anführer der «falangistischen» christlichen Miliz – zum Präsidenten des Libanons gewählt. Der charismatische Gemayel wurde von allen christlichen Milizionären und ihren Familien bewundert. Doch neun Tage vor Amtsantritt fiel Gemayel einem Bombenattentat zum Opfer. Am gleichen Nachmittag stiessen die IDF in einen Teil Westbeiruts vor, der damals hauptsächlich von palästinensischen Flüchtlingen bevölkert war. Sie umstellten die Flüchtlingslager Sabra und Schatila.

«Waltz With Bashir» von Ari Folman

Bei Einbruch der Dunkelheit drangen falangistische Streitkräfte im Schein von Leuchtraketen der IDF in die Lager ein. Zwei ganze Tage lang erschütterten Gewehrsalven und Kampfhandlungen die Lager. Erst am dritten Tag, am 16. September, als von Panik erfasste Frauen die israelischen Truppen ausserhalb der Lager überrannten, klärte sich das Bild: Drei Tage lang hatten die christlichen Milizen die Bewohner der Flüchtlingslager massakriert.

Ari Folman war als Soldat am Libanonkrieg beteiligt. Jahre später erinnerte er sich nur noch bruchstückhaft an die Vorfälle. Da machte er sich an die Aufarbeitung der Ereignisse. Wo war er, als in den Lagern die Flüchtlinge ermordet wurden? In Gesprächen mit alten Freunden und Kameraden versuchte er die Lücken in seinem Gedächtnis zu füllen und hat nun die Resultate als animierte Dokumentation festgehalten. Verwendet wurde eine Verbindung von Flash-Animation, klassischer und 3D-Animation. Obschon die Szenen zuvor real gefilmt wurden, haben die Filmemacher keine Rotoskopie eingesetzt. Jede Zeichnung wurde komplett neu geschaffen.

Das Ergebnis ist nicht nur vom Thema her, sondern auch von der Machart her überwältigend. Die (alp-)traumhaften Bilder von kläffenden Hunden, goldigen Stränden oder Hinterhalten in Strassenschluchten brennen sich in das Gedächtnis ein. Dabei wird auch die Unverlässlichkeit der Erinnerung thematisiert. So erzählt ein Kollege von einem Experiment, bei dem Personen zehn Bilder aus ihrer Kindheit gezeigt werden. Neun davon sind echt, eines davon eine Collage. 80 Prozent der Versuchspersonen «erinnern» sich sofort auch an die gefälschte Szene, die übrigen 20 Prozent «erinnern» sich nach einer Weile ebenfalls daran.

«Waltz With Bashir» von Ari Folman

Dieses Experiment sagt auch viel über die Wahrheit von «Waltz With Bashir» als Dokumentarfilm aus. Er ist als Annäherung an die wirklichen Vorfälle zu verstehen, der nicht die Realität, aber dafür umso eindrücklicher die Wirkung abbildet. «Filme sind doch eine Art von Psychotherapie,» meint ein Gesprächspartner zu Folman. In die vermutlich echten Erinnerungen sind auch als Halluzinationen bezeichnete Wahrnehmungen eingefügt, in denen die gespenstischen Eindrücke vom Krieg vermittelt werden. Ganz auf die Kraft der Animation vertraut Folman dann allerdings doch nicht: ganz am Ende verwendet er doch noch Aufnahmen von den trauernden Frauen und den Leichen im Flüchtlingslager.

Die DVD überzeugt mit sattem Bild und klangvollen Ton. Zwei entfallene Szenen (13 Minuten) sind in verschiedenen Rohstadien enthalten. Zudem beleuchtet ein 70-minütiger Beitrag die Entstehung von «Waltz With Bashir». Darin wird gezeigt, dass tatsächlich nicht Rotoskopie, sondern eine ausgefeilte Legetechnik in Flash-Animation für die Bewegungen genutzt wurde. Harte Selbstkritik übt nach Fertigstellung der künstlerische Leiter David Polonsky, der alle zwei Sekunden einen Fehler in der Anatomie der Figuren bemerkt. Die Bewegungen der Figuren sind tatsächlich leicht steif und mechanisch, der Film ist dennoch von bedrückender Schönheit.

Am Ende wird Folman in der Zwickmühle gezeigt: Sein Film wurde sowohl für den Wettbewerb von Berlin als auch von Cannes selektioniert. Wie erklärt man nun den Berlinern, dass der Film noch nicht «fertig» ist. Von Cannes zeigt sich Folman ordentlich beeindruckt. Dort werde eine extremistische, fundamentalistische Religion namens Kino zelebriert. Es sei eine wundervolle Religion, aber extremistisch.

Filme: 5 Sterne
Bildqualität: 5 Sterne
Tonqualität: 6 Sterne
Bonusmaterial:
5 Sterne

(Bilder: ©Frenetic)

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