20 Minuten mit «Religulous»-Regisseur Larry Charles

Larry Charles in ZürichIm September 2008 war Larry Charles am 4. Zurich Film Festival zu Gast. Im Rahmen des Festivals feierte sein religionskritischer, ja geradezu religionsfeindlicher Dokumentarfilm «Religulous» seine Europapremiere. Charles folgte Bühnen- und Fernsehkomiker Bill Maher auf den Spuren des Christentums. Der scharfzüngige Maher greift mit hartnäckigen Fragen die organisierten Religionen an und gibt sie äusserst respektlos der Lächerlichkeit preis.

Larry Charles wurde am 20. Februar 1956 in Brooklyn geboren. Im Fernsehen feierte er als Produzent und Autor der  Sitcom «Seinfeld» seine grössten Erfolge und wurde dafür mit zwei Emmys ausgezeichnet. 2003 drehte er mit Bob Dylan seinen ersten Kinofilm, das Musikdrama «Masked and Anonymous». Drei Jahre später spielte sein fiktiver Dokumentarfilm «Borat» weltweit über 260 Millionen Dollar ein.

Wie fühlst Du dich, hier in Zürich an der europäischen Premiere des Films?
Ich bin so viel rumgerannt, ich bin ein wenig in einem surrealen Zustand. Alles ist in Ordnung. Ich bin wirklich glücklich, hier zu sein. Eine schöne Stadt und ich fühle mich geschmeichelt, eingeladen worden zu sein.

Was hat Dich an diesem Projekt angezogen?
Mein eigenes Leben, letztlich. Ich versuche, meine Obsessionen, meine Sorgen und meine Fragen zu umarmen, und einen künstlerischen Weg zu finden, um sie auszudrücken. Dies war ein Thema, das mich immer herausgefordert hat, auf die eine Art oder eine andere. Ich habe schon lange versucht, etwas in dieser Art zu machen, konnte aber nie die richtige Formel dafür finden. Als ich Bill Maher getroffen habe, war er auch an diesem Thema interessiert, konnte aber nicht die richtig Formel finden. In der Zusammenarbeit konnten wir unsere Sorgen und Interessen verschmelzen und diesen Film schaffen.

Wie funktionierte diese Zusammenarbeit mit Bill Maher?
Wir beide hatten sehr starke Ideen, die im Einklang miteinander waren. Wir waren in der Lage, das Geld schnell aufzutreiben und rauszugehen. Ich habe versucht, einen möglichst entblössten Stil zu kreieren, damit wir uns schnell von einem Ort zum nächsten bewegen konnten, ohne viel Geld zu kosten. Ich wollte nicht einen derartig radikalen Film über Religion machen, der viel Geld kosten würde. Ich hatte das Gefühl, dass wäre ethisch falsch gewesen. Ich war sehr daran interessiert, einen unabhängigen Film mit niedrigem Budget zu realisieren, der ohne Studio-System auskommt, das versucht hätte, ihn zu filtern oder zu zensurieren. Bill war von dieser Idee sehr begeistert.

War es einfach, das Geld für die Produktion aufzutreiben?
Ja, überraschenderweise. Wir hatten ein Treffen und die Produzenten, Palmer West und Jonah Smith, sagten «Ja, machen wir das.» Ich war in der Lage, ein sehr kontrollierbares Budget aufzustellen, so dass es für sie klar war, dass das Projekt trotz kontroverser Thematik über kommerzielles Potenzial verfügte. Nun wurde der Film in die ganze Welt verkauft und spielt in vielen Kinos in den USA, was für einen solchen Film eher ungewöhnlich ist. Die Produktion war so günstig, dass der Film bereits profitabel ist, weil er überall auf der Welt verkauft wurde. Darüber bin ich sehr zufrieden.

Bill Maher hat eine eigene Art, die Menschen anzusprechen, meist sehr herausfordernd und aggressiv.
Ja!

Hast Du nicht befürchtet, dass seine oftmals grobe Art schädlich für die Botschaft des Films sein könnte?
Nun, wir haben versucht, ein Gleichgewicht zu finden. Deshalb stellen wir ihn zu Beginn vor und lernen, woher er kommt, damit wir eine Verbindung zu ihm aufbauen. Du hast vielleicht eine ähnliche Herkuft, ähnlich Fragen. Und man sieht, dass er ein dreidimensionales menschliches Wesen ist, mit einer Mutter, einer Schwester, dass er in die Kirche ging und früher einmal irgendwie wirklich glaubte. Aber langsam ist der Skeptizismus und Zynismus eingedrungen und er stand an einer Weggabelung. Ich würde nicht sagen, dass er grob ist. Ich würde ihn als mutig, furchtlos bezeichnen. Er ist bereit, schwierige Fragen zu stellen. In einer Welt voller zahmer Fragen, ist er bereit, schwierige Fragen zu stellen, komisch zu sein. Er stellt keine Fallen, sondern einfach die Fragen, die er seiner Ansicht nach stellen muss und reagiert natürlich auf die Antworten.

War es manchmal schwierig, Personen für Interviews mit Bill Maher zu finden, weil er so berüchtigt ist?
Zunächst einmal: in Europa und im Nahen Osten ist er nicht sehr bekannt. Dort stellte sich dieses Problem nicht. In den USA gibt es ein Bewusstsein für seine Person. Es gab also Leute, die nicht mit ihm reden wollten. Aber – das ist so eine Art Michael-Moore-Ding – viele Leute wollen darüber reden! Und sie wollen ihre Botschaft darlegen und verbreiten! Ironischerweise haben sie nicht besonders stark darüber nachgedacht. Sie sind bereit, ihre Botschaft zu verbreiten, aber sie haben nicht über sich selbst nachgedacht. Kaum wird ihnen eine grundlegende Frage gestellt, die an der Basis ihres Glaubens rüttelt, schlägt das Interview eine neue Richtung ein. Darin liegt der Spass.

Man muss keinen IQ-Test ablegen, um ein Interview zu geben. (Im Film sagt ein Senator: «You don’t have to take an IQ test to become a senator.»)
Genau, genau (lacht). Es gab keinen Plan, dass er das sagt. Das war seine eigene Antwort. Als Filmemacher habe ich da gedacht: «Ah, das ist Gold.»

Du sagst, dass Zweifel dein Produkt sei. Hast Du Zweifel an deiner Ablehnung von Religion?
Natürlich. Weder Bill noch ich sind wirklich Atheisten. Es hängt von der Definition von diesen Wörtern ab. Ich denke, sowohl Bill als auch ich glauben nicht an den Gott der organisierten, westlichen, monotheistischen Religion.Wir beide fühlen, dass sie gewisse Nutzen erfüllte, zu gewissen Zeiten. Wenn erklärt werden musste, wieso die Sonne aufgeht, wieso es dunkel wird oder wieso irgendwas. Hier bietet Religion eine Reihe von Antworten, die ein gewisses Wohlbefinden  geben. Aber je mehr wir über die Welt, das Universum und uns selbst herausgefunden haben, gab es so viele neue Fragen, wieso wir hier sind, wohin wir gehen und woher wir kommen. Was anfangs Antworten lieferte, verunmöglicht nun die Untersuchung der neuen Antworten, die wir benötigen, um uns weiter zu entwickeln.

Wieso haben Ihr nicht mehr skeptische Stimmen berücksichtigt, wie etwa den kritischen Priester Reginald Foster oder den katholischen Wissenschaftler George Coyne, ein offener Gegner von Intelligent Design?
Es gibt eine Fassung des Film, die über 14 Stunden lang ist. Wir haben Richard Dawkins, Philosoph Daniel Dennett und viele andere solche Leute interviewt. Letztlich waren aber auch ästhetische Gründe ausschlaggebend: Ich wollte eine 90-minütige unterhaltsame, verspielte Komödie herstellen. Wer am Samstagabend ins Kino geht und zwischen «Tropic Thunder», «The Dark Knight» oder diesem Film auswählen kann, soll auch an diesem Film seinen Spass haben, obschon er sich mit schwierigen Themen auseinandersetzt. Gestalterische Entscheide mussten gefällt werden. Ausserdem sind nicht so viele skeptische Stimmen enthalten, weil Bill vieles davon verkörperte.

An einer Stelle wird im Film John Adams zitiert: «This would be the best of all possible worlds, if there were no religion in it.» Die ganze Textstelle lautet aber: «Twenty times in the course of my late reading have I been on the point of breaking out, ‘This would be the best of all possible worlds, if there were no religion in it!!!’ But in this exclamation I would have been as fanatical as Bryant or Cleverly. Without religion this world would be something not fit to be mentioned in polite company, I mean Hell.» Führen solche aus dem Zusammenhang gerissenen Zitate nicht zu gerechtfertigten Angriffen auf den Film?
Wer sich mit Benjamin Franklin und den Gründervätern auseinandersetzt, wird herausfinden, dass sie – obschon sie wie wir alle mit religiösen Ideen indoktriniert wurden – ganz klar eine Trennung von Kirche und Staat wollten. Obschon sie bis zu einem gewissen Punkt an Religionsfreiheit glaubten, waren sie nicht besonders religiöse Personen und wollten nicht, dass sich Religion ins Regierungssystem einschleicht. Das ist offensichtlich sehr bedeutend, denn heute werden die Gründerväter fälschlicherweise als christliche Kirchengänger betrachtet. Diese falschen Ansichten werden benutzt, um den aktuellen Fundamentalismus in den USA zu rechtfertigen. Das ist sehr unheilvoll.

Was waren die grössten Überraschungen während den Dreharbeiten?
Ich habe viel gelernt. Am verblüffendsten war sicherlich, dass es einfach keinen unumstösslichen Beweis dafür gibt, dass Jesus wirklich gelebt hat. Das schockiert viele Menschen. Ich war schockiert. Keine der Personen, die über Jesus schrieben, sind ihm jemals begegnet. Sie haben nicht einmal zu seiner Zeit gelebt. Das ist ein interessanter Bestandteil, wie dieser Mythos und diese Geschichten entstanden sind und in uns eine Bedeutung auf einer fundamentalen Stufe angenommen haben. Wir werden von jung an mit diesen Ideen indoktriniert. Wenn Kindern gesagt wird, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, ist das ein dramatisches Erlebnis. Aber niemand sagt dir, dass es Jesus nicht gibt. Wenn du als Erwachsener davon erfährst, zerstört es deine Weltvorstellung.

Haben die Aussagen der Gesprächspartner überrascht?
Die zwei vatikanischen Priester haben mich mehr als alle anderen aus der Bahn geworfen. Wenn sie sagen, dass ihnen bewusst ist, dass es sich um Geschichten handelt, dass sie entsetzt sind über religiösen Fundamentalismus oder den Papst, der an die Evolution glaubt. Das waren schockierende Offenbarungen.

Welchen Einfluss soll der Film haben? Wendest Du dich einfach an Zweifler?
Überhaupt nicht! Am Ende des Films wenden wir uns den Zweiflern zu. Wir möchten, dass die Leute über ihren eigenen Glauben nachdenken, wenn sie aus dem Kino rausgehen. Es ist grossartig, dass nach den Vorführungen Debatten und Gespräche geführt werden, sehr angeregte Gespräche. Wie häufig kommt das nach einem Kinobesuch vor? Das wünsche ich mir. Das umstrittenste an diesem Film wäre, wenn Leute, die ihn sich für gewöhnlich nicht ansehen würden, weil sie heftig jeder Voraussetzung des Films widersprechen, sich den Film ansehen und daran Freude haben. Wenn das geschehen würde, könnte der Film über sein Genre hinauswachsen und die Form eines weltweiten Phänomens annehmen. Das wäre mein Traum für diesen Film, rund um die Welt den Dialog über diese Themen zu starten.

«Borat» hat weltweit 260 Millionen Dollar eingespielt. Was sind die Erwartungen für «Religulous»?
Zuerst einmal: «Religulous» hat fast nichts gekostet. Das ist einer der Reize. Ich wollte einen Film mit kleinem Budget herstellen. Ich denke, er kann ironischerweise viel Geld einspielen. Aber er wird vermutlich nicht in so vielen Kinos veröffentlicht, es wird nicht so viel Werbung geben. Die Mundpropaganda muss also funktionieren. Aber ich denke, er kann sehr erfolgreich sein. Ich möchte ein so grosses Publikum wie möglich erreichen. Es gibt keinen Grund, einen Film zu machen, den sich dann niemand ansieht.

Wem ist der Titel eingefallen?
Wir haben lange mit Titeln rumgespielt und kamen nie auf einen aufregenden. Wir wollten nicht ein Wortspiel wie «Go to Hell» oder «Heaven Help Us» verwenden. Als wir dann in die Phase kamen, in der wir einen Titel benötigten, fing ich an mit Wörtern zu spielen. Ich habe «Religion» auf ein Stück Papier geschrieben und habe mir überlegt, dass ich vielleicht ein Wort erfinden soll. «Religion» und «Ridiculous» (dt. lächerlich) haben einfach irgendwie zusammengepasst. Das ist ein neues Wort und es beschreibt genau, wovon der Film handelt und was unser Thema ist. Es hat einfach funktioniert und alle reagierten darauf – obschon einige Leute Mühe haben, es auszusprechen.

Sie haben sich nun mit «Borat» und «Religulous» als Schöpfer von einer Art neuem Genre etabliert, der Dokumentarkomödie. Wollen Sie diese Richtung beibehalten?
Ich liebe die Idee, das Filmemachen als Essay zu verstehen. Ich bin ein grosser Fan von Jean-Luc Godard, von W. G. Sebald, von Brecht. Das sind Leute, die in ihrem Medium, sei es nun Film, Literatur oder Theater, nicht eine gradlinige Narration verfolgen. Sie verwischen die Linien zwischen Komödie und Drama, Fiktion und Nonfiktion. Ich finde das faszinierend und liebe diese Verschmelzung. Ich liebe viele verschiedene Sachen, wieso soll ich verhindern, dass diese Dinge zueinander finden? Ich suche immer nach einer dynamischen Erfahrung beim Filmemachen, bei der wir einen Blitz in einer Flasche auffangen. Ich möchte nicht mit einem Drehbuch in einem Studio sitzen und Regeln befolgen. Ich möchte rausgehen und Sachen finden und einfangen. Im Grunde das Gold finden, das noch nicht entdeckt wurde.

Zwischendurch gibt es einen Überfluss an Informationen im Bild. Vielleicht ein bisschen zu viel Informationen?
Nun, wir versuchten ein Gleichgewicht zu finden. Für einige Leute ist es nicht genug, für andere zu viel. Das ist ein Film, den zwar alle unterhalten kann, aber es ist unmöglich, alle zu befriedigen. Manche wünschen den Film ehrfürchtig zu sein, andere möchten mehr nette Gläubige sehen, mehr Komödie, weniger Komödie, mehr Informationen, weniger Informationen. Ich habe diese 14-stündige Fassung des Films, und ich wünsche mir, dass ich daraus eine Fernsehserie mit halbstündigen Episoden machen kann, damit man ein ganzes 30-minütiges Interview mit Priester Foster oder Coyne sehen kann. Es wäre interessant, die Erleuchtung zu vertiefen.

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