Locarno 07: «Sieben Mulden und eine Leiche»

Thomas Haemmerli in «Sieben Mulden und eine Leiche»

[Erschienen am 6. August 2007, 13.09] Locarno bietet auch jedes Jahr die Gelegenheit, welsche Filme vor und deutschschweizer Filme nach ihrem Kinostart in der Deutschschweiz zu sehen. «Comme des voleurs (à l’Est)» hat noch nicht einmal ein Startdatum in der Deutschschweiz, der unter dem Label «Schockumentarfilm» in die Kinos gebrachte Dokumentarfilm «Sieben Mulden und eine Leiche» von Thomas Haemmerli hat seine Auswertung schon fast hinter sich.

Vor der Vorführung entschuldigte sich Haemmerli noch dafür, dass nicht wie im Programm angegeben die deutsche, sondern die englische Fassung vorgeführt werden wird. Dann äusserte er seine Verwunderung über das Ritual, den Filmemachern schon vor dem Film zuzuklatschen. Hier in Locarno handle es sich doch um ein erwachsenes Publikum, das vielmehr nach der Vorführung applaudieren oder eben auch pfeifen soll. Haemmerli erwartete dann auch, dass einigen Personen sein persönlicher Dokumentarfilm nicht gefallen würde, denn das Thema ist tatsächlich schockierend.

Ausgerechnet an seinem 40. Geburtstag erfährt Thomas Haemmerli vom Tod seiner Mutter, zu der er kaum noch Kontakt hatte. Als er die Wohnung der Verstorbenen betritt, ist der Schock gross: Sie hinterlässt eine komplett vermüllte Wohnung. Einen Monat lang räumen Thomas und sein Bruder Erik auf. Im Chaos finden sie nicht nur Familienfotos, die bis ins vorletzte Jahrhundert zurückreichen – sie stossen auch auf Familienfilme aus den 70er-Jahren.

Haemmerli hat diese Fragmente seiner Familiengeschichte zu einem makaberen, aber auch humorvollen Exorzismus genutzt. Ebenso schockierend wie der Müll und die Leichenreste seiner Mutter in der Wohnung sind nämlich auch die aufgedeckten Familiendramen, die schon mit den Grosseltern ihren Anfang nahmen und mit der Scheidung der Eltern noch nicht beerdigt waren.

So feiert Haemmerli jede volle Mulde als einen Triumph über das Chaos, denn hier werden nicht nur eine zugemüllte Wohnung, sondern auch die Vergangenheit entrümpelt. «Sieben Mulden und eine Leiche» ist teilweise unzumutbar, auch ein wenig verantwortlungslos, aber teilweise auch umwerfend komisch und ein Beweis für die therapeutische Kraft der Zerstörung. Formal manchmal ein wenig gar hektisch, überzeugt der Film des Journalisten vor allem durch die schonungslose Heransgehensweise an das Thema.

Fazit: «Sieben Mulden und eine Leiche» ist ein gleichsam intimer wie auch lauter Blick auf eine scheinbar disfunktionale Familie.

Bewertung: 5 Sterne

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