Locarno 08: «Lecture 21» von Alessandro Baricco

Noah Taylor in «Lecture 21»

[Erschienen am 11. August 2008, 23.30] Meisterwerk oder nicht? Das ist die Frage, die in «Lecture 21» gestellt wird. Verträumt, verschachtelt und virtuos setzt sich Alessandro Baricco in seinem Regiedebüt mit einer ewigen Frage der Menschheit auseinander: Wer bestimmt den Wert eines Kunstwerks?

Texttafeln führen in den Film ein: Im 19. Jahrhundert wird im Schnee die Leiche von Anton Peters (Noah Taylor) gefunden. In seiner Hand hält er eine Violine, die der Eingefrorene nicht hergeben will. So wird er mit ihr beerdigt. Dann kommen die ersten Bilder: Ein Sarg auf einem Eisfeld. Schwerelos wird er von Sargträgern auf Kufen über das Eis getragen.

Nun beginnt die verführerische Stimme einer Frau (Leonor Watling) vom brillanten Professor Mondrian Killroy (John Hurt) zu erzählen. Er beschäftigte sich sein Leben lang mit gekrümmten Gegenständen, bis er sich auf die Entlarvung von überbewerteten Kunstwerken spezialisierte. 141 davon soll es geben, wie etwa «Moby-Dick», «2001: A Space Odyssey» oder «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli. In der Vorlesung 21 widmete er sich der Entstehungsgeschichte von Beethovens 9. Sinfonie. Triumph oder nur leere Wiederholung?

Die Erklärungen führen zurück zum Musiker Anton Peters. In einer verschneiten Gegend in den Bergen wird er von einer seltsamen Menschengruppe empfangen. Da gibt es eine Meisterin des Feuers oder ein Meister des Eises. Ihr Vorname ist immer Wenzel. Sie bereiten sich auf eine Ankunft vor. Dabei diskutieren sie ausführlich über die Entstehung der 9. Sinfonie und die Ausgangslage für Beethoven, der damit gegen die aufkommende Leichtigkeit der neuen Musik von Rossini und Strauss ankämpfte.

John Hurt in «Lecture 21»

Der Inhalt von «Lecture 21» ist verwirrend und unergründlich, wunderbar absurd und verzückend. In seiner zauberhaften Verspieltheit erinnert der Film von Regisseur und Drehbuchautor Alessandro Baricco an die fantastischen Werke von Terry Gilliam. Der Anführer der Bergmenschen benutzt eine Maus als Uhr, ein Markt für Vögel besteht aus Vogelkäfigen in einem Baum, und um den Wind einzufangen, taucht plötzlich ein Schiff in der Schneelandschaft auf. So schwingt die Handlung zwischen schillernden Bildern und der konkreten Nachforschung.

Hinter der bezaubernden Oberfläche steckt diese beinahe undurchdringbare Auseinandersetzung über die Gültigkeit von ästhetischen Urteilen. Doch selbst dieses vermeintlich schwer verdaubare Debatte lässt Baricco mit augenzwinkernder Leichtigkeit zum Vergnügen werden. Dabei verliert er sich zwar zwischendurch selbst in (vielleicht absichtliche) Wiederholungen, brilliert dabei aber immer wieder mit überraschenden Einfällen.

Fazit: «Lecture 21» ist eine betörende Schöpfung über die Unvergänglichkeit von Kunst.

Bewertung: 6 Sterne

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