«Chasing Amy» von Kevin Smith (Blu-ray)

Joey Lauren Adams in «Chasing Amy»

Well, where’s the penetration in lesbian sex? A finger? I’ve had my finger up my ass. I wouldn’t say I’ve had anal sex.

Sein bisher wohl reifstes Werk lieferte Kevin Smith mit «Chasing Amy» ab. Formal ist der vorläufige Abschluss der «New Jersey Trilogy» zwar ein weiterer Rückschritt gegenüber «Clerks.» und «Mallrats». Aber die Figuren sind leicht erwachsener und die Handlung bedeutend vielschichtiger. Auch wenn oberflächlich betrachtet ein anderer Eindruck entstehen kann. So hört sich die Geschichte nämlich wie die Fantasie eines durchschnittlichen Homosexuellen an, der seine Potenz durch die Verführung einer Lesben unter Beweis stellt.

Nachdem «Mallrats» an den Kinokassen unter den Erwartungen abschnitt, landete Regisseur und Drehbuchautor Kevin Smith mit seinem dritten Spielfilm wieder beim unabhängigen Studio Miramax. Das Budget war wieder kleiner, die Konzentration auf Figuren und Handlung dafür grösser. Bevölkert ist der Film mit vielen Personen aus «Clerks.» und «Mallrats». Teilweise tauchen sie in den gleichen Rollen auf (in erster Linie Jay und Silent Bob), viele Schauspieler schlüpfen jedoch in andere Rollen.

Waren Jason Lee und Ben Affleck in «Mallrats» als Brodie und Shannon noch erbitterte Feinde, sind sie nun die besten Freunde Banky und Holden. Sie haben den auf Jay und Silent Bob basierenden Comic «Bluntman and Chronic» erfunden. Holden ist der Zeichner, Banky der Inker. An einer Comic-Messe treffen sie auf die quirlige Alyssa Jones (Joey Lauren Adams), in die sich Holden augenblicklich verliebt. Die Schmachterei setzt die Beziehung von Banky und Holden auf eine harte Probe. Allerdings kann sich Banky kurze Zeit später entspannen: Alyssa ist eine Lesbe.

Ben Affleck und Jason Lee in «Chasing Amy»

Ein Höhepunkt des Films folgt auf die Enthüllung von Alyssas sexueller Ausrichtung. Ziemlich konsterniert begleitet Holden seine Möchtegern-Freundin Alyssa mit ihrer Geliebten und Banky in eine Bar. Banky ist von dem Konzept des gleichgeschlechtlichen Sex noch völlig überwältigt. Er fragt ganz ungeschminkt: «How can a girl fuck another girl? Were you talking about strap-ons or something?» Holden ist entsetzt. Doch Alyssa lässt sich nicht beeindrucken, und kurze Zeit später vergleichen Banky und Alyssa Sex-Wunden.

Alyssa lässt sich von der Frustration von Holden nicht davon abbringen, sich trotzdem mit ihm zu befreunden – auch wenn sie keinen Sex haben werden. Gemeinsam verbringen Alyssa und Holden vergnügte Stunden. Dem Vorstädter werden von der in New York lebenden Querdenkerin neue Horizonte eröffnet. Offenherzig sprechen sie über Sex und Liebe. Dabei wird die eingeschränkte Welt von Holden ordentlich auf den Kopf gestellt.

Die Quelle der Weisheit ist aber einmal mehr Silent Bob. Smith hat sich dieses Mal einen ausführlichen Monolog gegönnt, in dem auch der Titel des Films erklärt wird. Die Quintessenz der Philosophie von Kevin Smith lässt sich dann aber auf zwei Sätze von Silent Bob reduzieren: «Do or do not. There is no try.» Danach lebt allem Anschein auch Kevin Smith selbst und hat damit ordentlich Erfolg.

«Chasing Amy»

Macht sich der heterosexuelle Kevin Smith in «Chasing Amy» einfach über Homosexuelle lustig? Der Film dreht sich zwar immer wieder um das Thema der geschlechtlichen Vorlieben, doch im Zentrum steht ganz klar die Liebe – unabhängig von der Person und ihrer sexuellen Ausrichtung. Einfühlsam und nuanciert führt Smith seine Figuren durch die Verwirrungen der Emotionen. Zwischendurch wird es natürlich auch ein wenig plakativ, aber sogar die eher unverständlichen Entscheidungen der Figuren sind meist nachvollziehbar.

Smith verzichtet auch nicht darauf, alle möglichen Vorurteile zu entlarven. Dazu dient ihm vor allem der nach aussen militante Afroamerikaner Hooper X (Dwight Ewell), der eigentlich ein zynischer Schwuler ist. Aus diesem Grund gehört er gleich in mehrfacher Hinsicht einer Minderheit an. Obschon er sehr versöhnlich ist, lässt er es sich nicht nehmen, sich über gewisse Stereotypen zu ärgern: «Lesbian chic. It’s oh-so acceptable to be a gay girl nowadays. People think it’s cute. Got this fool picture of lipstick lesbians in their heads, like they all resemble Alyssa, while most of ’em look more like you.»

Das Bonusmaterial auf der im Dezember 2009 erschienenen Blu-ray-Disc ist gegenüber der DVD von Criterion um einiges umfangreicher. Hervorragend ist – wie von Kevin Smith gewohnt – der Audiokommentar. Zudem sind auch entfallene Szenen, Einführungen und eine Übersicht über das Askewniverse enthalten. Neu sind eine halbstündige  Fragerunde im Anschluss an eine Jubiläumsvorstellung von «Chasing Amy» (inklusive Heiratsantrag) sowie der Beitrag «Was It Something I Said» (18 Minuten in HD), in dem sich Smith und Adams über die Dreharbeiten und ihre damalige Beziehung unterhalten.

Ganz neu ist auch die hervorragende 81-minütige Dokumentation «Tracing Amy» (in HD), in der die Filmemacher und Darsteller hemmungslos über ihre Erinnerungen sprechen. Die Beziehung von Smith und seinem Produzenten Scott Mosier wäre damals fast auseinandergebrochen, weil Mosier mit einem Budget von 3 Millionen Dollar gerechnet hat, Smith aber von Harvey Weinstein nur 250’000 Dollar forderte. Die dürftige Finanzierung sorgte für einige skurrile Situationen und vor allem für eine gesundheitliche Belastung von Mosier. Köstlich sind die Aussagen von Ben Affleck, der während den Dreharbeiten auf einem zu kurzen Sofa im Haus von Kevin Smith schlafen musste.

Bewertung: 5 Sterne
Bild-/Tonqualität (Criterion Edition/Blu-ray): 5 Sterne
Bonusmaterial (Blu-ray): 6 Sterne
Bonusmaterial (Criterion Edition):
5 Sterne

(Bilder: ©Miramax)

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