«La teta asustada» von Claudia Llosa

Magaly Solier in «La teta asustada»

No molestes la señorita!

Für ihr Regiedebüt «Madeinusa» wurde Claudia Llosa an zahlreichen Festivals mit Preisen geehrt. Mit ihrem Nachfolgefilm «La teta asustada» holte sich die peruanische Filmemacherin an der Berlinale den Goldenen Bären. Darin erzählt sie von der Tochter eines Kriegsopfers, die das Elend des Kriegs durch die Muttermilch in sich aufgesogen hat.

Für das bessere Verständnis von «La teta asustada» sind einige Hintergrundinformation über Peru notwendig. In den 1970er- und 1980er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war das Land an der Westküste von Südamerika immer wieder politischen Wirren ausgesetzt, vor allem geprägt vom Terror des «Sendero Luminoso» (leuchtender Pfad). Diese maoistische Organisation terrorisierte das Land und insbesondere die Bauern und die Indigenen, für deren Rechte sie sich angeblich einsetzen wollte. Zehn Jahre herrschte im Land ein bürgerkriegsähnlicher Zustand. Man geht heute von 70’000 Todesopfern aus. In «La teta asustada» behandelt Claudia Llosa die Spätfolgen des Terrors.

Die junge und bildhübsche Fausta (Magaly Solier) leidet unter dem, was man in Peru die «verängstigte Brust» nennt. «La teta asustada» ist eine Krankheit, die durch die Muttermilch übertragen wird. Die Krankheit ist ein Ausdruck der Angst und der Leiden, die der Krieg verbreitet hat. Die Kranken haben keine Seele, so sagt man; sie wurden ohne Seele geboren, weil sie sich vor dem Grauen in der Erde versteckt hatte.

Fausta lebt mit ihrer Mutter bei ihrem Onkel in einem Armenviertel am Rande Limas. Als die Mutter stirbt, ist Fausta, die ihr Leid nur in ihrem Gesang ausdrücken kann, gezwungen, sich ihren Ängsten zu stellen. Nach dem Tod der Mutter bricht sie erst einmal zusammen. In der Krankenstation erklärt der Onkel dem Arzt, dass Fausta an der verängstigte Brust leidet. Der Arzt hat aber vor allem festgestellt, dass sie eine Kartoffel in ihre Scheide eingeführt hat. Dadurch fühlt sie sich vor Übergriffen geschützt.

Ihre tote Mutter möchte Fausta in der andinen Heimat, in ihrem Dorf begraben. Doch sie hat kein Geld für den Transport. So wird die Mutter einbalsamiert und bleibt vorerst im Bett liegen. Als Hausmädchen bei einer wohlhabenden weissen Dame erhält Fausta die Chance, die Mittel aufzutreiben. Doch ihr Onkel stört sich an der Leiche im Haus und setzt Fausta ständig ein neues Ultimatum. Er droht, der Mutter ein Grab im Hinterhof zu schaufeln, wenn sie nicht bald begraben wird.

«La teta asustada» von Claudia Llosa

Spannungsgeladen und doch zurückhaltend erzählt Regisseurin und Drehbuchautorin Claudia Llosa vom Schicksal einer jungen Frau in Peru. «La teta asustada» kann beinahe als Fortsetzung von «Madeinusa» aufgefasst werden. Versuchte die Hauptfigur im Regiedebüt von Llosa noch mit allen Mitteln nach Lima zu gelangen, bemüht sie sich jetzt in «La teta asustada» für eine Reise in die Gegenrichtung. Die Hürden sind genauso so hoch. Schlicht und behutsam inszeniert Llosa diesen mühseligen Kampf gegen den Stillstand in alten Traditionen und gegen die Schatten der Vergangenheit.

Auffallend ist, das in «La teta asustada» ein Element vorkommt, das in lateinamerikanischen Film scheinbar beinahe zum festen Bestandteil einer Geschichte gehört: die Hausbediensteten, die in dieser Gesellschaft fest verankert sind. So tauchen Hausangestellte zwar nicht in allen, aber in zahlreichen Filmen in tragenden Rollen auf. Alleine in den letzten zwölf Monaten habe ich drei davon gesehen: «El niño pez» von Lucía Penzo, «Dioses» von Josué Méndez und «Parque vía» von Enrique Rivero. Dennoch ist der Film durch das Thema und insbesondere die Hauptfigur einzigartig.

Hauptdarstellerin Magaly Solier spielt zwar eine sehr schweigsame Figur, doch wie schon in «Madeinusa» strahlt sie eine unergründliche Stärke aus. Ihre Gefühle drückt die erdrückend Niedergeschlagene durch ihren zerbrechlichen, zärtlichen Gesang aus und durch durchdringende, intensive Blicke. Mit vermeintlich stoischer Gelassenheit fügt sie sich ihrem Schicksal, doch unter der Oberfläche schimmert eine unbesiegbare Energie durch. Die Verweigerung ihrer Figur gegen die Unterdrückung durch die Gesellschaft wird nicht zuletzt durch die Kartoffel in der Vagina belegt.

Die Kameraeinstellungen sind in «La teta asustada» noch ein wenig strenger als in «Madeinusa» und enthalten manchmal sorgfältigen Bildwitz. Auf dem Bett, auf dem zu Beginn die tote Mutter liegt, findet Fausta eines Tages plötzlich das Hochzeitskleid ihrer Cousine. Als Fausta das Bett zur Seite schiebt, liegt darunter die Leiche. Da der Kopf genau über der Bettkante hervorschaut, sieht es so aus, als ob sie das Brautkleid trägt. Wenig später beginnt der Onkel im Hinterhof ein Loch auszuheben, dass wie ein Grab aussieht.

Symbolbeladen sind auch viele andere Bilder, wie etwa das zum Fenster hinausgeworfene Klavier, das auf einem Lastwagen transportierte Schiff, dass nicht durch ein Tunnel passt, oder die schüchternen Blicke von Fausta durch das Fenster beim Eingang zum Anwesen ihrer Arbeitgeberin. Ein wunderbares Motiv bietet aber besonders die lange Treppe, die einen steilen Berg hinauf führt.

Fazit: «La teta asustada» ist ein eindringliches Drama über die Verbrechen der Vergangenheit und die Unbeugsamkeit einer jungen Frau.

Bewertung: 4 Sterne

(Bilder: ©Trigon-Film)

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