ZFF 09: «The Imaginarium of Doctor Parnassus»

Verne Troyer, Andrew Garfield, Christopher Plummer, Lily Cole und Heath Ledger in «The Imaginarium of Doctor Parnassus»

Can you put a price on your dreams?

In den letzten Jahren ist es um Meisterregisseur Terry Gilliam ein wenig ruhig geworden. Der grosse Fantast des Kinos lieferte 2005 zwar gleich zwei Filme ab, auf grosse Beachtung stiessen sie aber nicht wirklich. Als dann vor bald zwei Jahren Hauptdarsteller Heath Ledger mitten während den Dreharbeiten zu «The Imaginarium of Doctor Parnassus» verstorben ist, war schon zu befürchten, das eine weitere Produktion von Gilliam vor Fertigstellung begraben werden muss. In die Lücke sprangen dann aber Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell. Das Resultat ist überwältigend und berührend. Der dynamische Regisseur konnte sich gestern an der Schweizer Premiere am Zurich Film Festival feiern lassen.

Was würde passieren, wenn ein mittelalterlicher Zirkus im modernen London auftauchen würde? Von diesem einfachen Gedanken ausgehend haben Terry Gilliam und sein «The Adventures of Baron Munchausen»– und «Brazil»-Drehbuchautor Charles McKeown die Geschichte von «The Imaginarium of Doctor Parnassus» entwickelt. Doctor Parnassus (Christopher Plummer) zieht mit seinem monströsen Zirkuswagen, seiner süssen Tochter Valentina (Lily Cole), dem in sie verliebten Artisten Anton (Andrew Garfield) und dem kleinwüchsigen Kutscher Percy (Verne Troyer) durch die Stadt. Ihre Vorführungen ziehen allerdings das Publikum nicht gerade in Scharen an.

Da finden Valentina und Anton eines Abends einen geheimnisvollen Mann (Heath Ledger) unter einer Brücke am Strick hängen. Da er eine Röhre verschluckt hatte, überlebt er, kann sich aber nicht mehr an seine Identität erinnern. Er verleiht dem Unternehmen neuen Schwung und macht sich dabei vor allem den magischen Spiegel zu Nutzen, der Personen beim Durchschreiten in ihre unterbewussten Traumwelten eintauchen lässt. Parnassus macht sich derweil wegen einem dringenden Problem sorgen. Er hat nämlich eine Wette mit dem Teufel (Tom Waits) abgeschlossen, der sich seine Tochter in drei Tagen an ihrem 16. Geburtstag holen wird.

Heath Ledger in «The Imaginarium of Doctor Parnassus»

Die Geschichte ist ein wenig überladen. Sie führt auch noch zurück in die Vergangenheit von Parnassus, der sich schon vor 1000 Jahren als Mönch in einem Kloster erstmals auf eine Wette mit dem Teufel eingelassen hat und dadurch Unsterblichkeit erlangte. Das war aber von Beginn weg der Plan des Teufels, der später davon profitierte, dass sich Parnassus in eine junge Frau verliebte und seine Unsterblichkeit für erneute Jugend aufgab. Valentina ist lediglich das längst begehrte Opfer des Teufels. Die Handlung enthält zudem noch ein Eifersuchtsdrama und auch die wahre Identität des geheimnisvollen Mannes muss natürlich geklärt werden.

Betörend ist die Handlung von «The Imaginarium of Doctor Parnassus» trotzdem. Die Fabulierlust der Drehbuchautoren wird auch auf die Figuren projiziert, die davon leben, ausserordentliche Geschichten zu erzählen. In erster Linie ist Parnassus selbst für die Fantasiewelten verantwortlich, einerseits durch seinen Spiegel, andererseits durch seine Vergangenheit im Kloster. Dort mussten die Mönche die Geschichte der Welt erzählen, damit das Universum nicht untergeht. Kein Zweifel, dass sich auch Gilliam als ein solcher Geschichtenerzähler versteht, der die Welt am Drehen hält. Das gelingt ihm wunderbar.

Eingebaut sind auch zahlreiche unheimliche Anspielungen über die Sterblichkeit, die bei diesem Thema mit einer einst unsterblichen Hauptfigur beinahe unvermeidbar sind. In einem Ausflug ins Imaginarium schwimmen auf einem schwarzen Fluss die Bilder von James Dean, Lady Diana und Rudolph Valentino, drei Ikonen, die wie Heath Ledger zu früh gestorben sind und «forever young» bleiben. Nach der Premiere auf die Szene angesprochen, führte Gilliam aus, dass sie so schon im Drehbuch vorhanden war.

«The Imaginarium of Doctor Parnassus» ist somit eine traurige, aber auch gebührende Abschiedsvorstellung von Heath Ledger. Aber nur weil auch die restlichen Darsteller überragend sind. Besonders Christopher Plummer, der eigentliche Hauptdarsteller, labt sich an seiner saftigen Rolle genussvoll. Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell erweisen ihrem Freund Ledger als beherzte Verkörperungen eine würdige Ehrerbietung. Und Tom Waits gibt einen wahrlich verführerischen Teufel.

Christopher Plummer und Tom Waits in «The Imaginarium of Doctor Parnassus»

«The Imaginarium of Doctor Parnassus» ist ein herrlich verspielter Film und ein weiteres bemerkenswertes Werk von Gilliam. Ich stufe ihn aber dennoch nicht höher ein als seine vorzügliche Hollywood-Trilogie «The Fisher King», «Twelve Monkeys» und «Fear and Loathing in Las Vegas». Vielmehr stelle ich das Märchen auf die gleiche Stufe wie das fabelhafte Werk «The Adventures of Baron Munchausen», in dem erzählerisch und inhaltlich viele Ähnlichkeiten zu entdecken sind.

Auch in «Munchhausen» nimmt eine Künstlertruppe eine zentrale Rolle ein. Einige Episoden und Figuren aus «Parnassus» ähneln dann auch entsprechenden Elementen aus «Munchhausen». In der Figur von Valentina findet Sally Salt ihre Entsprechung. Die nymphenhafte Lily Cole nimmt aber in einem Tableau auch die Position von Uma Thurman ein. Sie spielt jedoch nicht die Venus, sondern verkörpert ebenso leicht bekleidet Eva. Dazwischen sind auch Verweise auf Monty Python erkennbar, etwa wenn ein paar Polizisten in Strapsen ein fröhliches Lied anstimmen. Für Fans von Gilliam ist «Parnassus» eine wahre Wunderkiste.

Ein weiterer Film, an den mich «Parnassus» durch sein Loblied auf die Macht der Erzählung erinnert hat, ist «The Fall». «Parnassus» ist wilder in der Kameraführung. Doch der grösste Unterschied ist dass die Bildwelten in «The Fall» in erster Linie an realen Orten Spielen, während Gilliam für sein Imaginarium neben jede Mengen Modellen vor allem auch visuelle Effekte verwendete. Der reale Ansatz gefällt mir zwar bedeutend besser, aber immerhin hat Gilliam die visuellen Effekte mittlerweile bedeutend besser im Griff als noch in «Brothers Grimm». Einige der Welten im Imaginarium sind schlicht überwältigend.

Fazit: «The Imaginarium of Doctor Parnassus» ist ein leicht ausuferndes, aber bildgewaltiges und stets faszinierendes Märchen.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: ©Pathé Films AG)

Mehr zum Thema:
Terry Gilliam an der Zurich Master Class 2009 (29. September 2009)

Ein Kommentar to “ZFF 09: «The Imaginarium of Doctor Parnassus»”

  1. beetFreeQ says:

    Ich kann es kaum erwarten, den Film zu sehen. Gilliam hat mich bisher mit jedem Film begeistert, wobei ich sagen muss, dass ich “Brothers Grimm” auch noch nicht kenne. Und da “The Fall” seit dem ich ihn vor kurzem endlich gesehen habe, auch zu meinen Favoriten gehört, steigert dein Vergleich meine Vorfreude gleich nochmal!

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