Klartext: Diesen Frosch küsse ich bestimmt nicht

«The Princess and the Frog»

Fans von animierten Filmen haben es in der Schweiz nicht immer einfach. Einen Animationsfilm, der vermutlich für mindestens einen Oscar nominiert wird und gestern acht Nominationen für die Annie Awards erhalten hat, werde ich mir erst auf Blu-Ray-Disc ansehen können. Die Schweizer Niederlassung der Walt Disney Motion Pictures Studios hat nämlich entschieden, von «The Princess and the Frog» nur synchronisierte Versionen in den Kinos zu zeigen. Die heissen dann «Küss den Frosch». Der bescheuerte deutsche Titel zeigt schon, dass es sich dabei nicht um den gleichen Film handelt.

«The Princess and the Frog» ist der erste zeichenanimierte Kinofilm aus den Disney Studios seit fünf Jahren. Der hat aber gemäss Presseabteilung von Walt Disney Motion Pictures Studios, Switzerland (WDMPSS) nur ein eingeschränktes Zielpublikum: «Kids 4–10, sowie deren Eltern, Grosseltern.» Bin ich wirklich der einzige Erwachsene in der Schweiz, der sich diesen Film in der Originalversion ansehen möchte?! Ich lasse mich nicht gerne bevormunden, sondern möchte für den in New Orleans angesiedelten Film amerikanische Stimmen hören und die Liedtexte von Randy Newman geniessen.

Es ist auch keineswegs so, dass bei einem Animationsfilm aus den USA einfach so die Stimmen ausgetauscht werden können. Es sind zwar keine Schauspieler zu sehen, aber die Animatoren orientieren sich bei ihrer Arbeit an den Vorgaben der Schauspieler, die ihre Texte schon in einer frühen Phase der Produktion aufnehmen. Oftmals passen die Animatoren die Bewegungen der Figuren der Gestik und Mimik der Sprecher an. Es spielt also sehr wohl eine Rolle, ob zu einem Animationsfilm die Originalstimmen zu hören sind. Wie mir Nora Brechbühl, Publicity Manager von WDMPSS, erklärt hat, sei das den Schweizer Kinogängern egal: «Wir richten uns nach dem Bedürfnis des Publikums sowie den Bestellungen der Kinos.»

Haben sich die Bedürfnisse des Publikums innerhalb der letzten 20 Jahre wirklich so stark verändert? Ich kann mich noch gut an eine ausverkaufte Vorstellung von «The Little Mermaid» im Kino Bellevue erinnern, die mit begeistertem Applaus endete. Dieser Film löste Anfang der 90er-Jahre eine eigentliche Renaissance der Zeichentrickfilme von Disney aus. «Beauty and the Beast», «Aladdin»,«The Lion King», «Pocahontas», «The Hunchback of Notre Dame» und «Mulan» lockten anschliessend jeweils weit über 300’000 Besucher in die Schweizer Kinos. In der Schweiz kulminierte der Erfolg 1999 mit der Veröffentlichung von «Tarzan» (668’824 Besucher).

Diese Filme sprachen ein breites Publikum an und waren in der Schweiz allesamt in der Originalversion zu sehen. Ende der 90er-Jahre entstand aber für die Walt Disney Studios nicht nur durch die Pixar Studios eine neue Konkurrenz, auch die anderen grossen Filmstudios setzten plötzlich auf Animationsfilme. Dreamworks brachte «Antz» und «The Prince of Egypt» in die Kinos, 20th Century Fox setzte auf «Anastasia» und «Titan A.E.», Warner Bros. belebte «The Iron Giant». Disney setzte daraufhin auf eine spezifischere Ausrichtung ihrer Animationsfilme. «The Emperor’s New Groove», «Atlantis: The Lost Empire», «Lilo & Stitch» und «Treasure Planet» peilten ganz klar ein eingeschränktes Zielpublikum an.

«Brother Bear» erzielte 2004 in der Schweiz mit 342’538 Eintritten noch ein ansehnliches Resultat, blieb weltweit (250 Millionen Dollar) aber hinter den Erwartungen zurück. So war dann ein Jahr später die tierische Western-Komödie «Home on the Range», die nicht einmal mehr das Budget von 110 Millionen Dollar einspielte, der letzte gezeichnete Animationsfilm von Disney. Die Kunstform der Handzeichner mussten in den USA das Feld scheinbar endgültig den digitalen Pixelkünstlern räumen. Erst als Disney mit ihren eigenen digitalen Werken, «Chicken Little», «The Wild» und «Meet the Robinsons», nicht auf den gewünschten Erfolg stiessen, erinnerte sich offensichtlich jemand im Mäuse-Imperium an die eigenen Stärken.

Für die neue Rückbesinnung auf die alten Qualitäten der Walt Disney Animation Studios ist nicht zuletzt John Lasseter verantwortlich, der derzeit nicht nur Chief Creative Officer der von ihm mitbegründeten Pixar Animation Studios, sondern eben auch der Walt Disney Animation Studios ist. Für «The Princess and the Frog» wurde das Rezeptbuch von Jeffrey Katzenberg entstaubt, der von 1984 bis 1994 für die vermutlich erfolgreichste Phase der Animationsfilmabteilung von Disney verantwortlich war. Als Regisseure von «The Princess of the Frog» zeichnen sich wieder Ron Clements und John Musker verantwortlich, die schon die Produktion von «The Little Mermaid» und «Aladdin» leiteten.

Als Vorlage wurde wiederum ein bekanntes Märchen gewählt. Dem Trailer nach zu urteilen wurde viel Wert auf zauberhafte Szenen und Humor gelegt, eine Mischung, die schon «Beauty and the Beast», «Aladdin»,«The Lion King» zum Erfolg führte. Und dafür sollen sich in der Schweiz nun plötzlich keine Erwachsenen mehr interessieren?! Auf jeden Fall geht WDMPSS davon aus und lässt gleichzeitig jeglichen Geschäftssinn vermissen. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass ein Filmverleih immer versucht, für jeden Film das grösstmögliche Publikum anzulocken. Das trifft aber in diesem Fall ganz bestimmt nicht zu.

Der Verleih sendet mit der Entscheidung, den Film nur in synchronisierten Versionen zu zeigen, in erster Linie zwei Botschaften: 1. Dieser Film ist ausschliesslich für Kinder geeignet. 2. Wahre Filmliebhaber gehören nicht zu unseren Kunden. Wenn für «The Princess and the Frog» oder treffender «Küss den Frosch» tatsächlich keine Abendvorstellungen vorgesehen sind, ist das aus kommerzieller Sicht zwar noch bedenklicher, aber irgendwie auch beruhigend. Sonst hätte ich nämlich das Bedürfnis verspürt, zu einem Boykott von diesem Film aufzurufen.

Originalversionen existieren übrigens durchaus in der Schweiz, wie Nora Brechbühl versichert: «Selbstverständlich haben wir Zugang zu allen Sprachversionen.» Aber nicht einmal die Presse darf sie sehen. Die Journalisten sind nämlich zu dumm: «In Vergangenheit hatten wir Probleme deswegen, da einige Journalisten in Filmkritiken z.B. die Originalstimmen hervorgehoben haben, welche aber vom Publikum nicht gehört werden können.» Schön blöd, wenn die Schreiberlinge nicht begreifen, dass sie die positiven Elemente eines Films nicht erwähnen dürfen. Ich gehöre auch zu diesen Idioten, die von Originalstimmen begeistert sind.

(Bild: ©Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.)

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