«Die Welle» von Dennis Gansel

«Die Welle»

Ist es heute noch möglich, dass in einem westlichen Land eine Diktatur entsteht? Das ist eine der zentralen Fragen hinter dem Experiment «The Third Wave», dass der amerikanische High-School-Lehrer Ron Jones mit seiner Klasse durchgeführt hat. Stärke durch Disziplin, Gemeinschaft und Handeln sollte erreicht werden. Zum Erstaunen des Lehrers reagierten die Schüler mit Begeisterung auf den vom ihm geforderten Autoritätsgehorsam. Am fünften Tag musste Jones das Experiment abbrechen, weil Andersdenkende ausgegrenzt und Schüler, die sich weigerten Mitglied zu werden, zusammengeschlagen wurden.

Diese Versuchsanlage wurde für das deutsche Drama «Die Welle» verwendet. Versuchsleiter ist der rebellische Lehrer Rainer Wenger (Jürgen Vogel), der sich von seinen Schülern duzen lässt. Für die Projektwoche zum Thema «Staatsformen» hat er natürlich das Thema Anarchie behandeln wollen. Das hat sich aber schon ein biederer Kollege geschnappt. So bleibt für Rainer nur noch das Thema Autokratie. Wie soll er bloss seinen Schülern den Unterricht über diese Form der Diktatur schmackhaft machen?

«Die Welle»

Montag. Der Autokratiekurs läuft schleppend an. Beim Thema Faschismus stöhnt die Klasse auf. Da beschliesst Rainer spontan, ein Experiment durchzuführen. Eine Leitfigur, ein Führer muss her. Die Schüler müssen den Lehrer während des Unterrichts mit «Herrn Wenger» ansprechen. Aufstehen, wenn sie etwas sagen wollen. Plötzlich herrscht Disziplin und Konzentration im Klassenraum. Ein Schüler, der sich weigert mitzumachen, wird kurzerhand rausgeschmissen. Die Begeisterung reisst selbst den Aussenseiter Tim (Frederick Lau) mit.

Dienstag. Gemeinschaft ist die Losung für den Tag. Schüler mit schlechten Noten werden neben Schüler mit guten Leistungen gesetzt, um sich gegenseitig zu helfen. Der Vorschlag, eine Uniform in Form eines weissen Hemdes einzuführen, wird begeistert aufgenommen. Mittwoch. Karo (Jennifer Ulrich) ist wie vor den Kopf gestossen. Als Einzige hat sie sich heute Morgen gegen das weisse Hemd entschieden. Sonst gibt sie den Ton in der Klasse an, plötzlich fühlt sie sich ausgegrenzt. Die Bewegung erhält den Namen die Welle, ein Logo wird entworfen und ein Gruss eingeführt.

Donnerstag. Als Karo sieht, wie Schülern, die den Welle-Gruss nicht machen möchten, der Zutritt zur Schule verweigert wird, platzt ihr der Kragen. Sie stellt Rainer zur Rede. Als dann Tim vor der Haustüre seines Lehrers auftaucht und sich ihm als Leibwächter anbietet, ahnt Rainer, dass ihm die Kontrolle über Die Welle langsam entgleitet. Freitag. Bei einem Wasserballspiel prügeln sich Zuschauer und im Wasser begleichen Spieler alte Rechnungen mit den Fäusten. Die Welle hat sich zum Albtraum entwickelt. Am Samstag versammelt Rainer seine Schüler in der Aula zur grossen Konfrontation.

«Die Welle»

Das perfide an der ganzen Thematik wird gleich zu Beginn des Experiments klar gemacht. Der Schüler, der sich nicht der Gruppendynamik unterwerfen möchte, wird ultimativ dazu aufgefordert. Die Rechtfertigung für die Drohung? Es ist schliesslich alles freiwillig: «Entweder du machst mit oder du gehst!» Wer die Ansichten der Gruppe nicht bis ins letzte Detail teilt, wird also einfach ausgeschlossen.

Regisseur Dennis Gansel zeigt in «Die Welle» exemplarisch auf, wie Unzufriedenheit und Angst in einem Mikrokosmos zu Auswüchsen der Gewaltherrschaft führen können. Beunruhigend ist dabei vor allem, dass es keine Gesellschaft ohne unzufriedene und verängstigte Menschen gibt. Aus diesem Grund muss davon ausgegangen werden, dass auch heute noch selbst in westlichen Ländern eine Diktatur entstehen kann. Wegen dieser Thematik ist der Film trotz einigen Schwächen äusserst brisant und sehenswert. «Die Welle» ist ein solide inszenierter, aufrüttelnder Thriller über politische Verantwortung.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: ©Rialto)

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