Locarno 08: «Un autre homme» von Lionel Baier

«Un autre homme» von Lionel Baier

[Erschienen am 9. August 2008, 17.43] Letztes Jahr war Lionel Baier mit «Comme des voleurs (à l’Est)» in der Reihe «Appellations Suisse» vertreten, dieses Jahr hat er nun mit «Un autre homme» den Sprung in den Internationalen Wettbewerb geschafft. In manchmal verträumten, dann wieder harschen Schwarzweiss-Bildern erzählt er vom zweifelhaften Aufstieg eines Möchtegerns, der sich dabei selbst verliert. Formal verzaubernd, spielt Baier inhaltlich mit provozierender Unausgeglichenheit.

François (Robin Harsch) ist mit oder zu seiner Freundin Christine ins abgelegene Vallée de Joux im Schweizer Jura gezogen. Dort findet er eine Stelle bei der winzigen Lokalzeitung. Er muss über das Leben der Einheimischen berichten, aber auch über die Filme im einzigen Kino des Tals. Damit ist er überfordert, denn er kennt sich sich mit Filmen nicht aus. So kopiert er einfach die Texte aus der französischen Zeitschrift «Travelling».

Da die wenig schmeichelhaften Texte bei der Beitzerin des Dorfkinos auf Ablehnung stossen, muss er fortan für Pressevorführungen nach Lausanne, die Stadt der Kultur. Dort lernt er Rosa Rouge (Natacha Koutchoumov) kennen, eine abgeklärte Kritikerin, die ihn fasziniert und verführt. Er bemüht sich, ihr zu gefallen, und vernachlässigt sein bisheriges Leben. Er wird «ein anderer Mann».

Natacha Koutchoumov und Robin Harsch in «Un autre homme»

Die Satire von Lionel Baier ist voller Zitate, von Eric Rohmer über «Stranger than Paradise» bis zu «Mon voyage d’hiver». Und über allem schwebt François Truffaut. Daher eignet sie sich ideal als Liebling für Kritiker, die darin ihre eigenen Vorlieben und Abneigungen erkennen. Aber gleichzeitig ist sie auch eine einziger Angriff auf Kritiker, die selbstverliebt und zynisch dargestellt werden. Sie drücken sich unverständlich aus und verhöhnen minderwertig beurteilte Werke.

Baier bedient sich genüsslich dieser Vorurteile, die aber oftmals einen wahren Kern beinhalten. Dennoch liesse sich sein Film ganz leicht verreissen. Er besteht nämlich lediglich aus Versatzstücken, die nur lose zusammengehalten werden, und verliert sich immer wieder in filmische Verspieltheiten und Wiederholungen, wie etwa einem tanzenden Paar. Aus diesen Abschweifern entsteht natürlich auch meist neue Bedeutung. Über das ganze legt Baier zudem eine Fabel von einem Fuchs im Hühnerstall.

Fazit: «Un autre homme» ist eine frech verspielte Hommage an die Liebe zum Film und eine zynische Abrechung mit falschem Ehrgeiz.

Bewertung: 5 Sterne

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