«I’m Not There» von Todd Haynes

Richard Gere in «Im Not There»

I don’t know who I am most of the time.

Wer ist Bob Dylan? Ein Chamäleon in den Augen von Todd Haynes. In seiner aussergewöhnlichen Dylan-Biografie «I’m Not There» lässt Haynes den Musiker gleich in sechs Identitäten auftreten. Bob Dylan ist Woody Guthrie (Marcus Carl Franklin), Arthur Rimbaud (Ben Whishaw), Jack Rollins (Christian Bale), Robbie Clark (Heath Ledger), Jude Quinn (Cate Blanchett) und Billy the Kid (Richard Gere). Wer jetzt nur noch Bahnhof versteht, sitzt nicht unbedingt im falschen Film.

Jede dieser Figuren steht für eine oder mehrere Perioden im Leben von Bob Dylan. Manche lassen sich relativ einfach zuordnen, andere sind eher schwierig zu interpretieren. So oder so sind einige Informationen über Dylan von Nöten, um diesen Film in seiner vollen Genialität zu verstehen. Die Angaben dazu entnehme ich der Einfachheit halber grösstenteils aus dem Presseheft, denn so gut bin ich mit der Biografie von Dylan nicht vertraut.

Marcus Carl Franklin in «Im Not There»

Billy the Kid (Bild 1) lebt zurückgezogen auf einer einsamen Farm irgendwo im Hinterland von Missouri. Dorthin hat er sich zurückgezogen, nachdem Pat Garretts Kugel ihn seinerzeit verfehlte, und dort will er eines Tages sterben. Als Billy von einem Nachbarn erfährt, dass der Bau einer sechsspurigen Strasse quer durch dieses Gebiet beschlossene Sache sei, ist er empört und beschliesst, in die Stadt Riddle zu reiten. Dort trifft er auf seinen Erzfeind Garrett. Die Figur des Billy the Kid steht für Dylans Faszination für Western-Themen und die zahlreichen Fluchten aus dem Rampenlicht.

Woody Guthrie (Bild 2) repräsentiert die Jugendjahre des Musikers und die Einflüsse auf ihn. Guthrie war das Vorbild von Dylan. Als Blues-Komponist und Singer/Songwriter reist der junge Guthrie 1959 durchs Land, hat Auftritte in Jahrmarktszelten absolviert, seine wahre Liebe verloren und darüber zu tief ins Glas geschaut. Das jedenfalls erzählt der erstaunlich selbstbewusste 11-Jährige zwei Landstreichern, die ihm bei seiner Reise im Güterwagon Gesellschaft leisten. Aus dem Kaff Riddle in Missouri stamme er, er sei aber eigentlich schon überall gewesen.

Charlotte Gainsbourg und Heath Ledger in «Im Not There»

1973. Claire (Charlotte Gainsbourg) lebt getrennt von ihrem Mann, dem Schauspieler Robbie Clark (Bild 3). Während Claire die Wohnung aufräumt, berichtet Richard Nixon im Fernsehen vom Pariser Waffenstillstandsabkommen, das für die USA das Ende des Vietnamkriegs markiert. Die Französin erinnert sich an die neun Jahre ihrer Ehe, die genau in die Zeit dieses Krieges fielen: an den Setbesuch, bei dem sich Claires und Robbies Blicke flüchtig kreuzten. An das erste Treffen in einem Café in Greenwich Village im Jahr 1964. An ausgelassene Tage in New York. An Ausflüge im Cabrio und auf dem Motorrad. An die Premiere des Hollywood-Films «Grain of Sand», der Robbie 1965 zum Superstar machte.

Der 19-jährige Arthur Rimbaud muss einem namenlosen Untersuchungsausschuss Fragen beantworten, über seine Motivation sowie die subversiven Strömungen und politischen Fehlinterpretationen seiner Werke. Rimbaud stellt Dylan in seiner Phase als Poet und künstlerischer Rebell dar. Die Dialoge stammen aus Interviews von 1965. Warum er mit dem Schreiben aufgehört habe, will der Vorsitzende des Ausschusses wissen. Er sei es müde, immer das Gleiche zu tun, erklärt Arthur. Er sei kein Fatalist, sondern Farmer.

Christian Bale in «Im Not There»

Im pulsierenden Greenwich Village der frühen 60er-Jahre macht der Folkbarde Jack Rollins (Bild 4) als umjubelte Stimme einer neuen Generation auf sich aufmerksam. Als «Troubadour des Gewissens» singt er «The Times They Are A-Changing» und präsentiert sich bei TV-Auftritten als murmelnder Kauz. Privat ist er mit der ähnlich erfolgreichen Folksängerin Alice Fabian (Julianne Moore) liiert – die sich, ebenso wie einige andere Zeitzeugen, im Interview an Jacks Anfänge erinnert. Nach seinen frühen Erfolgen habe Jack sich bald von Folk und Protest abgewandt und kommerziellere Ziele verfolgt.

Beim Newport Folk Festival verärgert Jude Quinn (Bild 5) seine bislang treu ergebene Fangemeinde, indem er auf elektrischen Gitarren laute Rocksongs mit Bandbegleitung spielt. In London gibt der kettenrauchende Jude eine Pressekonferenz und beantwortet die zielgerichteten Fragen der Journalisten mit provokant-spitzfindigen Aussagen. Bei einem weiteren Pressetermin trifft Jude auf den Journalisten Keenan Jones (Bruce Greenwood). Der Dialog der beiden entwickelt sich zu einem erbitterten Rededuell über Jude als Botschafter einer Generation. Jude lehnt diese Rolle vehement ab. Beim Konzert wird Jude vom Publikum ausgebuht, und Zwischenrufer titulieren ihn als Judas.

Cate Blanchett in «Im Not There»

Die Geschichten dieser Figuren werden von Haynes zu einem schillernden Porträt eines an sich zurückgezogen lebenden Künstlers verwoben, der aber durch seine Werke die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ständig auf sich zieht. Das Experiment mit den sechs unterschiedlichen Schauspielern ist mehr als geglückt. Hervorgehoben wird zwar immer die Leistung von Cate Blanchett, die übrigen Dylan-Stellvertreter verdienen aber genauso viel Lob. Von der künstlerischen Seite ist sicher auch noch Kameramann Edward Lachman besonders zu erwähnen, der für die verschiedenen Stile der einzelnen Episoden geschmeidige Bilder gefunden hat.

Grundkenntnisse über das Leben von Dylan sind für den Genuss von «I’m Not There» sicher hilfreich. Bildtafeln mit biografischen Angaben hält Haynes nämlich nicht bereit, und die Dialoge beschäftigen sich auf äusserst komplexe Weise mit dem Mythos Dylan, der von seinem Bild in der Öffentlichkeit gleichsam profitiert und auch davon angewidert ist. Die anregende Biografie kann aber sicherlich auch als motivierender Einstieg in das Werk von Dylan funktionieren.

An dieser Stelle dürfen die «Sieben einfachen Regeln des Untertauchens» nicht fehlen:

1: Traue nie einem Polizisten, der einen Regenmantel trägt.
2: Nimm dich vor Begeisterung und Liebe in Acht. Beide sind nur vorübergehend und verblassen schnell.
3: Wenn du gefragt wirst, ob du an den Problemen der Welt Anteil nimmst, schau dem Fragenden tief in die Augen. Er wird dich nicht noch einmal fragen.
4/5: Verrate nie deinen wahren Namen, und wenn man dir rät, dich selbst zu betrachten – tu es nicht.
6: Tue und sage nichts, was die Person, die dir gegenübersteht, nicht verstehen kann.
7: Erschaffe niemals etwas. Die Leute werden es fehlinterpretieren. Es wird dich an die Kette legen, dich für den Rest deines Lebens verfolgen und sich niemals verändern.

Fazit: «I’m Not There» ist eine in viele Richtungen mäandernde, mitreissende Annäherung an den Musiker Dylan, die den faszinierenden Mythos in vielen Facetten abbildet.

Bewertung: 6 Sterne

(Fotos: ©Filmcoopi)

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