«Un prophète» von Jacques Audiard

Tahar Rahim in «Un prophète»

Tu veux apprendre?

Für Gefängnisse gibt es viele Bezeichnungen. In Deutschland heissen sie offiziell ziemlich nüchtern Justizvollzugsanstalt, in der Schweiz werden sie der Bestimmung entsprechend Strafanstalt genannt. In den USA gibt es noch die Bezeichnung «Correctional Facility» sozusagen Verbesserungsanlage. Der Häftling soll nicht einfach seine Strafe absitzen, sondern resozialisiert werden. Der franzöische Regisseur Jacques Audiard schildert im eindringlichen Drama «Un prophéte» wie ein solcher Lehrgang über die Machtstrukturen einer Gemeinschaft funktioniert.

Malik (Tahar Rahim) ist gerade einmal 19 Jahre alt, als er ins Gefängnis von Brécourt eingeliefert wird. Sechs Jahre soll der arabisch-stämmige Mann dort verbüssen. Doch weil fast gleichzeitig ein Häftling angekommen ist, der als Zeuge gegen eine kriminelle Organisation aussagen soll, wird Malik schon in der ersten Woche von der korsischen Bande im Gefängnis für ihre Zwecke eingespannt. Töte oder stirb. Vor diese Wahl stellen sie ihn. Dafür erhält er nach vollbrachter Tat auch Schutz vor anderen Insassen.

Malik möchte sich zunächst an die Wächter wenden, aber die stehen auch im Dienst der Korsen. So ringt er sich zum Mord durch. Bevor Malik dem Mithäftling die Kehle durchschneidet, fragt ihn dieser noch, ob er ein paar seiner Bücher lesen möchte. Aber Malik kann nur schlecht lesen. Nach der Tat besucht er dann die Schule im Gefängnis. Auch im Umgang mit den Korsen, für die er Drecksarbeiten erledigen muss, lernt er so manche nützliche Informationen. Und langsam steigt Malik in der Hierarchie auf und baut sich sein eigenes Beziehungsnetz auf.

Tahar Rahim und Niels Arestrup in «Un prophète»

Wer ein schweres Verbrechen begeht, muss ins Gefängnis. Dort gelangt der Täter zur Einsicht, dass sich seine Straftat nicht gelohnt hat und er in Zukunft ein ehrenhaftes Leben führen soll. So wünscht es sich zumindest die Gesellschaft. Das ist sicher in vielen Fällen eine illusorische Vorstellung. In erster Linie tritt ein Insasse mit anderen Häftlingen in Kontakt und muss seine Stellung in dieser Gemeinschaft behaupten. Auch wenn die Häftlinge sinnvoll beschäftigt werden, bleibt noch genügend Zeit, in denen sie sich über andere Themen austauschen. Spätestens wenn sich wie in «Un prophète» die Rollen der Aufseher in der Machtstruktur der Insassen auflösen, bricht das System zusammen.

Im Grunde genommen ist die einfache Botschaft von «Un prophète», dass der Strafvollzug in der heutigen Form gescheitert ist. Durch die Strukturen in den Gefängnissen wird eine weitere Kriminalisierung der Inhaftierten begünstigt. Ob diese Aussage des Films wirklich den Tatsachen entspricht, kann ich nicht beurteilen. Sie ist aber nachvollziehbar. Wie Malik einmal erklärt, verfolgen im Gefängnis alle Bewohner das einfache Ziel, ihr eigenes Leben und das ihrer Freunde zu verbessern. Dazu benutzen sie die Schwächen der übrigen Personen in dieser Gemeinschaft und akzeptieren auch, dass sie je nach Situation selber benutzt werden.

So bietet «Un prophète» eine intensive Lehrstunde über die Verteilung und Verwaltung von Macht in einer geschlossenen Gesellschaft. Regisseur Jacques Audiard schildert die Abläufe nüchtern, den Umständen entsprechend meist ziemlich einengend. Das betrübliche grau des Gebäudes und die Strukturen der Gitter werden bewusst betont. Ein wiederkehrendes Motiv ist der eingeschränkte Blick, der sich für die Hauptfigur allmählich öffnet. Tahar Rahim verkörpert diesen unschuldig wirkenden Gefangenen überragend, hin- und hergerissen zwischen seiner Herkunft und der Aussicht auf Verbesserung seiner Position.

Fazit: «Un prophète» ist ein eindrückliches, sorgfältig beobachtetes Drama.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: ©Filmcoopi)

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