«Blindness» von Fernando Meirelles (Blu-ray)

Julianne Moore in «Blindness»

You can’t be responsible for everyone.

Ein Satz des Humanisten Erasmus von Rotterdam besagt, dass im Reich der Blinden der Einäugige König sei («In regione caecorum rex est luscus»). Dieser Satz wird von José Saramago in seinem Roman «Ensaio sobre a Cegueira» (deutsch: «Die Stadt der Blinden») mehrmals verwendet. Gleichzeitig wird von ihm die Gültigkeit der Aussage in Frage stellt. Die Parabel über ein Epidemie an Erblindungen wurde von Regisseur Fernando Meirelles in «Blindness» so beklemmend umgesetzt, wie sie von Saramago beschrieben wurde.

In seinem Auto sitzt ein Mann an einer roten Ampel. Plötzlich kann er nicht mehr sehen. Ein weisses Licht überblendet alles. Von seiner Frau wird der Mann zu einem Augenarzt (Mark Ruffalo, «Zodiac») gebracht, der die Erblindung jedoch nicht erklären kann. Am Abend erzählt der Augenarzt seiner Frau (Julianne Moore, «Boogie Nights») vom seltsamen Fall. Am nächsten Morgen erblindet er selbst. Als er die Behörden verständigt, wird er abgeholt. Zusammen mit seiner Frau, die sich als Blinde ausgibt, wird er in ein karges Notfalllager gebracht.

Das Lager füllt sich langsam mit anderen Erblindeten – zuerst allesamt Menschen, denen der Augenarzt schon begegnet ist. Da die Blindheit wie eine Seuche immer mehr Personen befällt, füllt sich das Lager immer schneller. Die Nahrungsversorgung ist nur mangelhaft, und die Insassen haben Mühe, für Sauberkeit zu sorgen. Schliesslich reisst ein bewaffneter Insasse (Gael García Bernal, «Babel») die Kontrolle im Lager an sich. Er verlangt von den übrigen Menschen, dass sie für den Proviant bezahlen, zunächst mit Wertsachen, später mit Sex.

Julianne Moore und Mark Ruffalo in «Blindness»

Die Frau des Augenarztes bezeugt dieses Chaos mit ihren Augen. Dabei wünscht sie sich schon bald, dass sie dieses Elend nicht betrachten muss und fürchtet sich davor, die Augen zu öffnen. Sie geniesst zwar einen Vorteil gegenüber den anderen Lagerbewohnern, doch eine Königin ist sie in keiner Weise. Nachdem die Errichtung einer gesitteten Gesellschaft scheitert, bewegt auch sie sich verunsichert in dieser Welt ohne Moralvorstellungen oder wie sie es in der deutschen Übersetzung des Romans formuliert: «Ihr wisst nicht und könnt nicht wissen, was es heisst, Augen in einer Welt von Blinden zu haben, ich bin keine Königin, nein, ich bin einfach die, die geboren wurde, um den Horror zu sehen, ihr fühlt ihn, ich fühle ihn und sehe ihn.»

Die Umsetzung von Fernando Meirelles dupliziert immer wieder die Wahrnehmung der Protagonisten. Manchmal wird die Leinwand weiss und verschwommen oder seltsame Einstellungen und Ausschnitte der Kamera verstören den Eindruck. Auch die Augen des Publikums werden manchmal mit Licht überflutet. Je intensiver sich die Handlung entwickelt, umso unbehaglicher wird das Gefühl der Unsicherheit, das durch diese Stilmittel entsteht. Obschon «Blindness» nicht einfach eine künstlerische Spielerei ist, liegen die Stärken eindeutig auf der formalen Ebene.

Inhaltlich hält sich das Drehbuch von Don McKellar sehr stark an die Vorlage von Saramago. In einigen wenigen Szenen, in denen es sich davon entfernt, bewegt sich der Film auf wackligem Boden. Die Unfähigkeit der sehenden Frau, den hungrigen Blinden auszuweichen, kann zwar als Zeichen ihrer Verunsicherung gedeutet werden, ist aber aus rein praktischer Sicht eher störend. Noch viel irritierender ist ein völlig unsinniger, im Roman nicht enthaltener Ausflug des blinden Augenarztes. In solchen Momenten wird die Glaubwürdigkeit der dystopischen Welt unnötig aufgehoben. Trotzdem wird im Film ein stilistisch fabelhaftes Schreckensszenario entworfen, das angenehm beunruhigt.

Die Blu-ray-Disc überzeugt durch perfekte Bild- und Tonqualität. Empfehlenswert am Bonusmaterial ist vor allem der solide Drehbericht (52 Minuten), in dem die kontrollierten Dreharbeiten in Toronto dem Chaos in São Paolo gegenübergestellt werden. Gegen Ende flacht der Beitrag allerdings ein wenig ab und unterscheidet sich nicht mehr stark von den ebenfalls vorhandenen Eindrücken von den Dreharbeiten (10 Minuten). Zusätzlich sind noch kurze Interviews mit Moore, Ruffalo, Bernal und Mereilles (insgesamt 14 Minuten) vorhanden, die aber teilweise die schon im Drehbericht verwendeten Aussagen enthalten.

Bewertung: 5 Sterne
Bild-/Tonqualität (Blu-ray): 6 Sterne
Bonusmaterial (Blu-ray):
3 Sterne

(Bilder: © Kinowelt Home Entertainment)

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