«The Girl with the Dragon Tattoo» von David Fincher

Why don’t people trust their instinct?

Die Vielfalt an Titeln für ein und dasselbe Werk in verschiedenen Ländern ist manchmal verblüffend. In Deutschland erhielt der erste Roman, in dem Stieg Larsson die rätselhäfte Lisbeth Salander auf den Journalisten Mikael Blomkvist treffen lässt, den etwas beliebigen Titel «Verblendung». In den USA wird mit dem Titel «The Girl with the Dragon Tattoo» die Heldin in den Mittelpunkt gerückt. Am treffendsten ist aber sicher der schwedische Originaltitel, «Män som hatar kvinnor», also «Männer, die Frauen hassen». Die packende Hollywood-Version der Geschichte über missbrauchte Frauen liefern Regisseur David Fincher («The Social Network», «Fight Club») und Drehbuchautor Steven Zaillian («American Gangster») ab.

Der Journalist Mikael Blomkvist (Daniel Craig, «Quantum of Solace») wurde gerade wegen Verleumdung zu einer happigen Geldstrafe verurteilt. Da erhält er vom ehemaligen Industriellen Henrik Vanger (Christopher Plummer, «The Imaginarium of Doctor Parnassus») einen verlockenden Auftrag. Blomkvist soll den ungelösten Mord an Vangers Grossnichte Harriet aufklären, die vor über 40 Jahren spurlos verschwunden ist. Blomkvist begibt sich für die Recherchen auf die abgelegene Insel, wo das Verbrechen stattgefunden haben soll und immer noch zahlreiche Verwandte von Vanger wohnen, darunter auch Martin Vanger (Stellan Skarsgård, «Ronin», «Angels & Demons»), der unterdessen das Familienunternehmen führt.

Mit seinen Nachforschungen landet Blomkvist bald in einer Sackgasse. In den Notizen von Harriet und den übrigen Unterlagen findet er kaum wirklich nützliche Spuren. Da unterhält der Journalist Unterstützung von der jungen Informations- und Computer-Expertin Lisbeth Salander (Rooney Mara, «The Social Network»), die zuvor im Auftrag einer Sicherheitsfirma Untersuchungen über Blomkvist angestellt hatte. Gemeinsam kommen sie der Lösung des Rätsels näher, begeben sich dadurch aber auch in immer grössere Gefahr.

«The Girl with the Dragon Tattoo» ist an und für sich ein klassischer Thriller, der immer wieder versucht, das Publikum durch zahlreiche trügliche Hinweise auf eine falsche Fährte zu locken. Erst nach einer Weile wird deutlich, wie gefährlich die eigentlich banal wirkende Untersuchung des Journalisten und der jungen Frau wirklich ist. Der eigentliche Reiz der Geschichte liegt allerdings in den beiden gebrochenen Hauptfiguren. Besonders durch Lisbeth Salander wird das in der Vergangenheit liegende Verbrechen an Harriet auch in die Gegenwart transportiert. Wie Harriet ist auch Salander das Opfer von abscheulichen Männern, die ihre Machtstellung schamlos missbrauchen. Stieg Larsson zeichnet in «Män som hatar kvinnor» ein wahrlich wenig schmeichelhaftes Bild von Männern und ihren schädlichen Trieben.

Regisseur David Fincher war durch seine bisherigen Filme (insbesondere «Se7en» und «Zodiac») beinahe schon vorherbestimmt, dieses Werk zu verfilmen. Er inszeniert den Thriller in der von ihm gewohnten technischen Brillanz und formalen Virtuosität. Ein wenig fragwürdig ist bei dieser handwerklichen Kunstfertigkeit nur, ob ein Film über die schädlichen Auswirkungen von männlicher Lust so freizügig mit Sex und Gewalt umgehen darf. Die Reize von nackter Haut und Blut vermischen sich in «The Girl with the Dragon Tattoo» ungehemmt. Durch die ungeschminkte Darstellung der Gewalt taucht der Film zwischendurch bereits ins Genre des Horrorfilms ab.

Wie vergleicht sich «The Girl with the Dragon Tattoo» mit der schwedischen Verfilmung von Niels Arden Oplev? Schnitt und Tempo der Hollywood-Version sind um einiges mitreissender, doch dafür verliert die Hochglanzversion von Fincher dadurch auch ein wenig an Authentizität. Figuren und Handlung sind hingegen beinahe identisch. Teilweise sind sogar deckungsgleiche Einstellungen zu entdecken. Eine auffallende Veränderung betrifft jedoch beispielsweise die Art und Weise, wie Blomkvist und Salander zueinander finden: Während in «The Girl with the Dragon Tattoo» der Journalist sich aktiv um eine Assistentin bemüht, liefert Salander in «Män som hatar kvinnor» einen entscheidenden Hinweis und drängt sich dadurch als Helferin auf. Zudem wurde die Auflösung ziemlich auf den Kopf gestellt. Beide Versionen haben ihre Vorzüge und leichte Schwächen.

Fazit: «The Girl with the Dragon Tattoo» ist ein spannender und verstörender Thriller, der mit dem starken Kontrast zwischen anziehenden und abstossenden Bildern arbeitet.

Bewertung: 5 Sterne

(Bilder: © 2011 Sony Pictures Releasing GmbH)

6 Kommentare to “«The Girl with the Dragon Tattoo» von David Fincher”

  1. roger says:

    Und aus welchem speziellen Grund sollte ich mir die veramerikanischte Version der Geschichte auch noch ansehen, nachdem ich die europäische schon sah?
    In Amerika mag der Film vermutlich durchschlagenden Erfolg haben, aber in Europa …. ich zweifle daran, Egal wer der Regisseur ist.

  2. Thomas says:

    Es gibt verschiedene Gründe (von denen ich hier nur einige wenige aufzählen möchte), wieso man sich die Hollywood-Version einer Geschichte ansehen soll, obschon man bereits die europäischen Kinofassung gesehen hat:

    – die Hollwood-Version bietet einen komplett neuen Zugang zur Geschichte und interpretiert die Handlung neu (trifft für «The Girld with the Dragon Tattoo» leider nicht zu)
    – man sieht gerne Filme mit Daniel Craig (oder einem anderen verwendeten Schauspieler)
    – man war von der europäischen Version enttäuscht und möchte wissen, ob die Hollywood-Version vielleicht besser ist
    – man sieht gerne, wie die Bewohner von Schweden Englisch sprechen
    – man ist sich nicht mehr sicher, ob man die europäische Fassung schon angeschaut hat

    In der Schweiz war «Män som hatar kvinnor» übrigens nicht besonders erfolgreich. Die 76’083 Eintritte wird der Film von David Fincher ziemlich sicher überbieten. Ich schätze, dass mindestens 120’000 Karten verkauft werden. Möglicherweise werden sogar mehr als 200’000 Eintritte erreicht.

  3. roger says:

    Trotz des Hypes um die Bücher? Erstaunlich tiefe Zahlen.
    Ich werde mir aber trotzdem immer die Originalversion anschauen. Die amerikanische ist bei mir eigentlich verpönt, seit den erfolgreichen französischen Filmen in den 80ern, die jeweils unmittelbar in den USA nachgedreht wurden. In meinen Augen immer massiv schlechter, weil der Charme des französischen Film verloren ging. Und so geht es mir vermutlich auch mit der düsteren, schwedischen Geschichte.

  4. Thomas says:

    Die Filme von Fincher waren bisher nicht die grossen Abräumer in den Schweizer Kinos. Selbst «The Curious Case of Benjamin Button» erreichte «nur» 242’038 Eintritte, was aber kein schlechter Wert ist. «The Social Network» musste sich mit 135’564 bescheiden. Für «Fight Club» waren es 144’500. «The Girl with the Dragon Tattoo» ist ähnlich düster und nicht für jeden Geschmack.

    Ich gehe ausserdem davon aus, dass sich nur wenige der 76’083 Gäste für «Män som hatar kvinnor» sich die gleiche Geschichte noch einmal anschauen – wie eben auch du.

  5. roger says:

    Und viele kennen ja das Buch, was eh (immer) besser ist oder haben mittlerweile einen der Filme im TV gesehen.

  6. Henry says:

    Also ich mag Daniel Craig nicht so, aber Rooney Mara als Lisbeth Salander ist eine Top-Besetzung! Ich glaube, das David Fincher nochmal das Maximum aus dem Stoff herausholt!

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