Why do you refuse to talk?
Die Frage stellt sich wirklich: Wieso bloss will die Hauptfigur nicht sprechen? Obschon über 80 Jahre seit der Einführung des Tonfilms vergangen sind, erzählt Regisseur und Drehbuchautor Michel Hazanavicius die Geschichte von «The Artist» beinahe komplett ohne ausgesprochene Dialoge. Der Schwarzweissfilm ist eine charmante Hommage an den Stummfilm, die nicht immer ganz überzeugend, aber doch meist sehr einfallsreich mit den Konventionen des Stummfilms spielt.
George Valentin (Jean Dujardin) ist der beliebteste Star des Hollywood-Kinos der 20er-Jahre. 1927 lässt sich Valentin nach der Premiere seinen letzten Hits, «A Russian Affair», von seinem Publikum feiern. Vor dem Kino drückt ihm die Verehrerin Peppy Miller (Bérénice Bejo) einen Kuss auf die Wange. Das führt ein wenig zu einer Verstimmung bei Valentins Ehefrau Doris (Penelope Ann Miller). Doch Valentin lässt sich davon vorerst nicht stören. Peppy Miller versucht sich derweil selbst als Schauspielerin und kriegt eine Rolle als Statistin in Valentins nächstem Abenteuer, «A German Affair». Auf der Tanzfläche verdreht sie dem Star den Kopf.
Langsam gelingt Peppy der Aufstieg von der Statistin über kleinere Rollen bis hin zur Neben- und schliesslich zur Hauptdarstellerin. Gleichzeitig droht jedoch Valentin mit dem Wendepunkt vom Stummfilm zum Tonfilm der Untergang. 1929 weigert sich der Produzent und Regisseur Al Zimmer (John Goodman) einen weiteren Stummfilm mit Valentin zu finanzieren. Der Schauspieler übernimmt selbst das Risiko und trägt die Kosten für «Tears of Love». Kurz vor dem Kinostart vernichtet dann die Weltwirtschaftskrise das Vermögen von Valentin. Nur ein Erfolg kann ihn noch retten. Doch die Kinos bleiben leer. Stattdessen sehen sich die Menschen den am gleichen Tag anlaufenden Tonfilm «Beauty Spot» mit Peppy Miller an.
Wie Martin Scorsese in «Hugo» wirft also auch Michel Hazanavicius in «The Artist» einen leicht verträumten Blick zurück auf die frühen Jahre des Kinos. Formal könnten die entstandenen Reflektionen nicht unterschiedlicher sein. Während sich Scorsese mit 3D und visuellen Effekten technisch soweit wie möglich von der Vergangenheit entfernte, bedient sich Hazanavicius fast ausschliesslich der Mittel des Stummfilms. Die Möglichkeiten des Tonfilms werden einzig für einen Alptraum, in dem Valentin von Geräuschen und Gelächter verfolgt wird, und ganz am Ende enigesetzt. Dazwischen vermitteln Zwischentitel zusätzliche Informationen. Durch den spärlichen Einsatz der Schrifttafeln wird auch ersichtlich, dass das notwendige Wissen mehrheitlich auch ohne Dialoge vermittelt werden kann.
Inhaltlich bestehen durchaus Ähnlichkeiten zwischen «Hugo» und «The Artist» – abgesehen davon, dass in beiden ein Alptraum vorkommt. Beide Filme handeln von einem durch den technischen Fortschritt verursachten Verlust. Dadurch ist auch in «The Artist» die Stimmung stark melancholisch gefärbt. Die Hauptfigur befindet sich auf einem Pfad in den eigenen Untergang. Da er sich vehement weigert, sich der unvermeidlichen Veränderung zu stellen, wird die Situation immer ausgwegloser. Die Erfolglosigkeit führt unaufhaltsam in die Depression. Das Motiv der gegensätzlich verlaufenden Karrieren wird allerdings schon ein wenig zu konsequent umgesetzt. Besonders Valentins störrische Ablehnung jeglicher Hilfeleistungen ist mit der Zeit ermüdend.
Wie sehr sich die Zeiten doch geändert haben. Schon 1952 beschäftigte sich auch «Singin’ in the Rain» mit dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm. Doch während das Musical ähnlich wie «Hugo» die damals modernsten technischen Mittel einsetzte und mit viel Musik und Tanz auf bunte Fröhlichkeit setzte, dringt in «The Artist» die Abwesenheit von Farben scheinbar auch auf die Gemütslage der Hauptfigur durch. Die teilweise düstere Stimmung erlaubt Hazanavicius auch die Verwendung von Ausdrucksmitteln des expressionistischen Film. Ansonsten wendet er aber natürlich ebenfalls die konventionellen Formen des Stummfilms an, von übertriebener Gestik bis zu weit aufgerissenen Augen. Jean Dujardin und Bérénice Bejo beweisen dabei viel Talent als stumme Schauspieler.
Mit «The Artist» hat sich Hazanavicius zweifellos auf ein mutiges und gewagtes Experiment eingelassen, dass viel Anerkennung und Lob verdient. Schwarzweissfilme kommen zwar noch fast jedes Jahr in die Kinos. Aber den Verzicht auf Ton erlauben sich ansonsten praktisch einzig Kurzfilme. Eine der seltenen Ausnahmen der letzten Jahrzehnte ist «Tuvalu» von Veit Helmer. Die Begeisterung für «The Artist», der immerhin für stolze 10 Oscars in fast allen Hauptkategorien nominiert wurde, ist wohl in erster Linie auf die einzigartige Umsetzung zurückzuführen. Denn die Geschichte an sich ist nicht wirklich aussergewöhnlich. Faszinierend und anregend ist das Werk aber allemal.
Fazit: «The Artist» ist ein formal gewagter Ausflug in die Stummfilmzeit, der lediglich auf der inhaltlichen Ebene zu wenige Gefahren eingeht.
Bewertung:
(Bilder: © Praesens Film)