Fantoche 09: Internationaler Wettbewerb 2 bis 5

«Lögner» von Jonas Odell

Heute geht Fantoche zu Ende. Da ich über das 7. Internationale Festival für Animationsfilm Baden auch für die Mittelland Zeitung geschrieben habe, kommt die Berichterstattung hier leider ein wenig zu kurz. Einen kurzen Überblick über den Internationalen Wettbewerb, das Kernstück des Festivals, möchte ich aber schon noch abliefern. Zu Beginn erwähne ich gleich einmal, welche beiden Filme sich meiner Ansicht nach für den Hauptpreis aufdrängen: «Lögner» von Jonas Odell (Bild) und «The Heart of Amos Klein» von Michal und Uri Kranot.

Der Schwede Jonas Odell ist in der Schweiz kein Unbekannter. Schliesslich erhielt er 2006 an den Kurzfilmtagen Winterthur für «Aldrig som första gången!» den Hauptpreis. Die Gestaltung von «Lögner» ist ähnlich. Odell illustriert reale Interviews, teilweise durch eine Art Rotoskopie, teilweise durch abstrakte Figuren. Erzählt wird in drei Episoden von einem Betrüger, einer Drogensüchtigen und einem Kind, das von seiner Mutter 100 Kronen gestohlen hat. Stark ist die virtuose Kombination von Text und Bild. Einzige Schwäche ist die unausweichliche Dreiteilung des Films.

An «Waltz With Bashir» erinnert «The Heart of Amos Klein». Michal und Uri Kranot zeichnen das Leben eines israelischen Mannes im Rückwärtsgang nach. Bei der Einweihung der illegalen Trennmauer zwischen Israel und Palästine erleidet der Ehrengast Amos Klein einen Herzstillstand. In der Folge werden die einzelnen Stationen seiner Karriere bebildert. Als Anhaltspunkte dienen einschneidende historische Ereignisse, vom Friedensabkommen zwischen Jassir Arafat und Jitzchak Rabin von 1995 über die Intifada von 1987 und den Jom-Kippur-Krieg von 1973 bis hin zum Unabhängigkeitsfest von 1956. Nicht nur eine inhaltliche, sondern auch formal überzeugende Auseinandersetzung mit der Geschichte von Israel.

Und jetzt im Schnelldurchlauf die übrigen Werke im Wettbewerb. Im zweiten Block krochen in «Muto» die Gestalten von Blu über Hauswände. Auch die Kunstwerke aus dem Trafohäuschen in Baden sind darin integriert. David OReilly übte sich im absichtlich hässlich Computer-animierten «Please Say Something» in Dekonstruktion. Die Beziehung einer Maus und einer Katze ist belastet. «Tôt ou tard» von Jadwiga Kowalska brachte Balance zwischen Tag und Nacht. In «Bing & José» setzte sich Yi Zhao mit Immigration und Fleischverzehr auseinander. Dazu habe ich mir das Wort «bizarr» notiert.

Martinus Klemet führte in «Öhus» die erschlagende Wirkung von Fernsehbildern vor. Ein wenig beliebig, aber amüsant. Sehr stimmungsvoll und auch ein wenig befremdlich war der Cherubin in «Jaulas» von Juan José Medina. Etwas gar simpel hat «Mission» von Ramil Usmanov auf mich gewirkt. Auf einem Planeten (oder Mond) werden Rüben gezogen. Dadurch entstehen die Krater. Eine ironische Einführung in den Vorstadtkapitalismus erfahren die Kinder von überzeugten Sozialisten in «Lidingöligan» von Maja Lindström. Niedlich, aber auch ein wenig zu plakativ und visuell nicht besonders ansprechend.

Der dritte Block bestand neben «The Heart of Amos Klein» aus «Dialogos» von Ülo Pikkov, der seine verspielten Einfälle direkt auf den Film zeichnete. Unergründlich war für mich «Souiu Megane» von Atsushi Wada. Die eintönigen Wiederholungen und sein einfacher Zeichenstil entsprechen nicht ganz meinem Geschmack. Vielseitig faszinierend war dann dafür das Musikvideo «Walzerkönig» von Adnan Popovic. Einfallsreich verspielt verwandelte Evelien Lohbeck in «Noteboek» ein Notizbuch in ein Notebook. Die Pferdegeschichte «Malchik» von Dmitry Geller war zwar poetisch, aber auch ein wenig zu steif animiert und zu sentimental. An die Bildsprache der Propaganda aus der Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnerte «Drux Flux» von Theodore Ushev. José M. Ribeiro schilderte in «Passeio de domingo», wie eine Familie wegen einem missglückten Sonntagsausflug buchstäblich auseinanderbricht.

Im vierten Block hat «Der Da Vinci Timecode» von Gil Alkabetz etwas gar nervös gewirkt. «Refreny» von Wiola Sowa war ein wenig einschläfernd, ebenso «Raah» von Sanjay Jangir. Blieben vielleicht daher nur schwammige Erinnerungen an «Poznija gosci» von Yulia Ruditskaya haften? Etwas konkreter wurde danach «Bamiyan» von Patrick Pleutin, in dem vielschichtig von den zerstörten Buddha-Statuen in Afghanistan berichtet wurde. Kurzweilig wie immer zeigte sich Run Wrake mit «The Control Master». Für Kinder gegeignet ist die süsse Geschichte in «Rybka» von Sergei Ryabov. Weniger jugendfrei war danach «Chainsaw» von Dennis Tupicoff. Irgendwie faszinierend, aber kann mir jemand erklären, was es mit der Verbindung von Ava Gardner, Luis Miguel Dominguín und Chainsaw auf sich haben soll?

Im fünften, von «Lögner» eröffneten Block verwandelten sich in «Western Spaghetti» von PES Post-It-Zettel in Butter und Dollar-Noten in Basilikum. Ein köstliches Menü. Leicht pervers und ziemlich depressiv schilderten Johanna Freise und Daniel Šuljić in «Kurzes Leben» das Unglück einer jungen Frau auf der Suche nach Liebe. Die fand sie nicht, dafür viel Sex. Unheimlich war die die lebensechte Wirkung der Figuren in «Madame Tutli-Putli» von Chris Lavis und Maciek Szczerbowski, als ob Menschen mit Make-up verwendet wurden. Diese Augen gehen nicht aus dem Kopf. Die Animation ist perfekt, die Handlung etwas gar vage.

Auf rätselhafte Stimmungen reduziert war «Il gioco del silenzio» von Virginia Mori. Der Zeichenstil erinnert an Lorenzo Mattotti. Noch mehr Kopulationen gab es in der Klecksanimation «Ezurbeltzak, una fosa común» von Izibene Oñederra. An die Technik von Blu erinnerte «Lucia» von Cristobal Leon, Joaquin Cociña und Niles Attallah, die in einem Zimmer eine überwältigende Dynamik erzeugen. Noch mehr russische nostalgische Sentimentalität gab es in «On i ona» von Maria Mouat. «Sparni un airi» von Vladimir Leschiov war hübsch. Das bereits ausführlich vorgestellte Werk «Retouches» von Georges Schwizgebel bildete den Abschluss.

Gestern habe ich Duscha Kistler, die künstlerische Leiterin des Festivals gefragt, wieso sehr viele Filme in Zeichenanimation und Stop-Motion im Wettbewerb zu sehen sind: «Das hängt auch damit zusammen, welche Filme wir eingesandt erhalten. Fantoche ist als Festival bekannt, dass die Animation als Kunstschaffen vorantreiben möchte. Ich glaube, daher wurden gewisse Produktionen nicht eingereicht, die Computer-animiert und vielleicht ein wenig kommerzieller sind. Wenn über die Jahre eine Ausrichtung aufgebaut wird, kann die nicht durch einen Wettbewerb ausgemerzt werden. Und natürlich besteht das Selektionsteam aus Mitgliedern, die Handwerk bevorzugen. Letztlich ist jede Auswahl mit den Personen verbunden, die sie vornehmen. Die haben ihre Vorlieben, und das kann nicht abgestritten werden.»

Eine wunderbare Anekdote bot gestern noch die Präsenation von «Metropia», einem visionären Projekt von Tarik Saleh. Diese Veranstaltung war in der Reihe «Coming Soon» eingeordnet, in der die Entstehung von Projekten vorgestellt wird. Nach etwa 45 Minuten erwähnte Saleh, dass man ihn gerne unterbrechen dürfe, wenn man eine Frage habe. Daraufhin fuchtelte ein Besucher wie wild in der Gegend rum und wollte wissen, wann endlich der Film gezeigt wird. Lesen und verstehen sind eindeutig unterschiedliche Fähigkeiten.

5 comments

  1. Was dem Film “The Heart of Amos Klein” betrifft bin ich mit deinem Urteil gar nicht einverstanden. Er erinnert höchstens thematisch an “Waltz With Bashir”, ein Film der mich, auch durch seine persönliche Erzählperspektive berührt hat. “The Heart of Amos Klein” fand ich eher ärgerlich mit dieser Banalisierung des Nahostkonflikts. Der Puls des Films schlägt wohl selber im Takt des Herzens von Amos Klein, eröffnet keine Perspektiven, transportiert bloss das Klischees. Da gab es im Internationalen Wettbewerb etliche Filme die interessanter, vielschichtiger und differenzierter waren.

    Meine Favoriten waren “Madame Tutli-Putli”, “Noteboek” und “Muto”, alles Filme die Auszeichnungen erhielten. Und ich bin ja richtig zufrieden darüber, dass mein “Geschmack” so durchschnittlich ist.

  2. Vermutlich lässt sich «The Heart of Amos Klein» unterschiedlich lesen. Ich sehe darin eine Verurteilung der israelischen Politik, der feige Kriegsprofiteur Amos Klein als Symbol für einen Staat, der ein neues Herz braucht. Am Ende lassen die Regisseure diesen abscheulichen Menschen schon als Kind sterben. Ist das eine Banalisierung? Aber vielleicht habe ich den Film auch einfach falsch verstanden. Ich würde gerne erfahren, welches Klischee der Film genau transportiert?

    «Muto» und «Noteboek» haben mir auch sehr gut gefallen. «Madame Tutli-Putli» zumindest auf der visuellen Ebene, und dafür wurde der Film ja ausgezeichnet.

  3. Ja, das ist schon eine Banalisierung. Der Film bezieht sich auf die Geschichte des Nahostkonkflikts. Und dieser Konflikt besteht ja nicht einfach darin, dass israelische Militaristen Krieg führen aus blosser Herzlosigkeit, also aus Unmenschlichkeit. Ich finde eine solche Darstelllung ungeheuerlich. Kann sein, dass ich da etwas falsch verstanden habe, aber ich kann darin nicht viel anderes sehen, als diese polarisierende Sicht auf den Konflikt in dem Israel das Böse und die Araber offenbar das Gute verkörpern.
    Wenn Amos Klein ein Symbol ist für den israelischen Staat, dann stellt der Film die Existenzberechtigung Israels in Frage. Die Israelis sind einfach krank, haben kein Herz, so klingt der Film. Was dieser Boshaftigkeit gegenübersteht, darüber schweigt sich der Film aus, beziehungsweise setzt er einfach voraus, dass jeder damit einverstanden ist, dass auf der anderen Seite der Mauer nur das Gute liegen kann (Und wer es doch nicht ist, steht auf der Seite von Amos Klein). Das ist Manipulation und das ist auch überhaupt nicht spannend für jemanden der sich unvoreingenommen über die Geschehnisse in dieser Region interessiert.

  4. Dann interpretieren wir den Film also nur leicht unterschiedlich, kommen dadurch aber zu völlig gegensätzlichen Beurteilungen. Ich gehe jetzt einmal nicht davon aus, dass die Regisseure die Existenz von Israel in Frage stellen, sondern in erster Linie den Verlust der Menschlichkeit durch die zahlreichen Konflikte anklagen. Dadurch ist ein herzloses «Monster» entstanden.

    Banal ist vielleicht, dass der Gegner gar nicht gross vorkommt. Dadurch gibt es aber auch gar keine Araber, die das Gute verkörpern könnten. Ich finde es durchaus berechtigt, dass sich Michal und Uri Kranot kritisch mit dem Wesen der eigenen Seite auseinandersetzen, ohne dabei allzu gross auf die Gegenseite einzugehen. Schliesslich versucht der Staat Israel durch den Bau der Mauer auch die Ausklammerung der Palästinenser. Der Nahostkonkflikt ist auf beiden Seiten eine schamlose Manipulation. Dagegen ist die Herangehensweise der Filmemacher an das Thema geradezu harmlos und auch weniger radikal als deine Interpretation.

  5. Du bringst es auf den Punkt: Banal ist es, dass der Gegner nicht vorkommt. So kann keine Differenz, keine Differenzierung entstehen. Darum ist der Film banal.

    Oder stellt Amos Klein einfach Ariel Sharon dar? Das ergäbe eine völlig andere, interessantere Sicht auf den Film.

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