Fantoche 11: Internationaler & Schweizer Wettbewerb

Wer sich am Festival Fantoche ein Programm des Internationalen oder Schweizer Wettbewerbs ansieht, steht am Ende vor der Qual der Wahl. Bei der Abstimmung für den Publikumspreis darf ein Favorit ausgewählt werden. Manchmal drängt sich ein Beitrag auf, dann aber wieder ist die Entscheidung gar nicht so einfach. Für mich dienen meine Lieblinge als Leitfaden für einen kurzen Rückblick auf Teile der beiden Wettbewerbe. Den Anfang mache ich mit «Borderline» von Dustin Rees aus dem Schweizer Wettbewerb 2.

Regisseur Dustin Rees gehört schon fast ein wenig zum fixen Inventar von Fantoche, kreierte er doch in den letzten Jahren meist auch einen der Sponsoren-Trailer. Ausserdem war er 2009 auch schon mit seinen Werken «Jungle Seasoning» (2008) und «The Bellringer» (2007) im Schweizer Wettbewerb präsent. Eine Gemeinsamkeit der Filme von Dustin Rees ist der makabere, gnadenlose Humor. Besonders beneidenswert sind die Figuren selten. Das trifft nun ganz besonders für die Hauptfigur in der 2D-Computeranimation «Borderline» (Bild 1) zu.

Im Zentrum von «Borderline» steht ein lebensmüder Grenzwächter. Der versucht sich auf alle möglichen Varianten zu sterben, scheitert aber immer wieder. Wie es schon der Titel erahnen lässt, ist der Humor bewusst grenzwertig. Rees spielt mit den Emotionen, lässt zwischendurch leichte Hoffnung aufkommen, doch Erbarmen kennt er weder für seine Figuren noch für das Publikum. Die konsequente Auflösung der traurigen Geschichte ist die grosse Stärke der bitterbösen Tragikomödie.

Im Schweizer Wettbewerb 1 fiel die Entscheidung für meine Stimme zwischen «Bon Voyage» (Bild 2) von Fabio Friedli und «Gypaetus Helveticus» von Marcel Barelli. Beide Werke sind kleine Komödien mit starkem politischem Unterton. Während Barelli die Geschichte von der Ausrottung und der Wiederansiedlung des Bartgeiers in der Schweiz als Vorlage für eine kluge Parabel über Vorurteile und Fremdenhass benutzt, schickt Friedli scheinbar vollkommen banal ein paar Menschen auf eine beschwerliche Reise. Die Strichfiguren in «Bon Voyage» besteigen munter einen überfüllten Lastwagen. Doch schon bald fordert die Reise die ersten Opfer.

Je weiter die Reise geht, umso beschwerlicher wird sie. Spätestens als die Strichfiguren ein Boot besteigen wird deutlich, dass die Personen auf einer Reise der Hoffnung sind. Doch jedes neue Opfer ist mit einem kleinen Gag verbunden, seien es nun die Figuren, die sich wegen einer Fata Morgana mit Eiffelturm und Matterhorn in den heissen Sand stürzen, oder die sich zu früh freuenden Personen, die sich auf einer kleinen Insel mit Palme schon am Ziel ihrer Hoffnungen wähnen. Ist die Reise noch von heiterem Slapstick geprägt, lässt Fabio Friedli die politische Komponente durch die letzten Einstellungen erkennen.

Schweizer Beiträge sind aber nicht nur im Schweizer Wettbewerb vertreten, drei davon haben auch den Sprung in den Internationalen Wettbewerb geschafft. So war «Romance» (Bild 3) von Georges Schwizgebel («Retouches») im Internationalen Wettbewerb 1 zu sehen. Ich mag das Konzept der Werke von Schwizgebel. Er wählt meist ein klassisches Werk als Hintergrund für seine sich in ewiger Wandlung befindlichen Zeichnungen. Schwizgebel baut dabei oftmals auf seine vorhergehenden Werke auf, lässt wiedererkennbare Formenspiele auftauchen und erfindet doch stets neue Möglichkeiten der Gestaltung.

In «Romance» steht ein Paar im Zentrum, dass sich in einem Flugzeug trifft. Sie begegnen sich auch wieder in einem Film, der auf den Bildschirmen gezeigt wird. Dann stürzt das Flugzeug ab. Vom Notausstieg landen die beiden in einem Rettungsboot, um sich gleich in der nächsten Einstellung wie gewöhnliche Urlauber auf den Strand zu werfen. Die Zeichnungen und Transformationen erinnern selbstverständlich an die früheren Werke wie «La jeune fille et les nuages», «L’homme sans ombre», «Jeu» oder «78 Tours». Dennoch erzeugen leichte stilistische Abweichungen eine faszinierende Eigenständigkeit.

Bevor ich mir heute Nachmittag noch die letzten Filme an der neunten Ausgabe von Fantoche anschaue, bleibt mir jetzt gerade noch genügend Zeit, einen wirklich internationalen Vertreter in den Wettbewerben zu erwähnen. Im Internationalen Wettberb 2 fiel meine Wahl auf «Tord och Tord» (Bild 4) von Niki Lindroth von Bahr. Die melancholische Komödie aus Schweden erzählt gleichsam amüsant wie traurig von der Einsamkeit in der Grossstadt. In einem Wohnblock entdeckt Herr Tord eines Tages, dass in der Wohnung nebenan ebenfalls ein Herr Tord eingezogen ist. Die Nachbarn entdecken rasch Gemeinsamkeiten, treffen sich immer öfter, entwickeln eine gemeinsame Geheimsprache. Doch plötzlich bricht der Kontakt ab.

Nicht nur durch die Technik und den Stil der Puppenanimation erinnert «Tord och Tord» an «Fantastic Mr. Fox». Auch die Stimmung der beiden Werke sind sich sehr ähnlich. Die Figuren bewegen sich in einer Welt, in der Schein und Sein sehr nahe beieinander liegen. Während in «Fantastic Mr. Fox» dieser Konflikt zwischen der Illusion der Glücklichkeit und der davon abweichenden Realität nicht wirklich Auswirkungen auf die Figuren hat, führt er in  «Tord och Tord» zu einem unausweichlichen, ernüchternden Ende.

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